„Making of a Man“ von Quindell Orton 

Stripping Patriarchy

Quindell Ortons „Making of a Man“ im Münchner HochX

In einer humor- und kunstvollen Performance führt Orton jeden biologistischen Anspruch auf die Verbindung von Körper und Geschlecht ad absurdum.

München, 17/05/2024

von Raphaela Bardutzky und Theresa Seraphin 

Das Bühnensetting erinnert an eine Vortragssituation irgendwo zwischen TED-Konferenz und Tech-Produktpräsentation: Weißer Boden, weißes Stehpult, im Hintergrund eine riesige weiße Leinwand. Dazu eine vortragende Person im weißen, hochgeschlossenen Hemd, blauer Hose, mit sorgfältig zurückgekämmtem Haar, ausgestattet mit Mikrofon und Headset. Höchstens die zwei männlichen Barbiepuppen, die zwei Kens, die auf einem Tischchen vor dem Stehpult platziert sind, geben zu Beginn des Abends einen Hinweis darauf, dass uns kein trockener Vortrag, sondern eine äußerst humor- und kunstvolle Performance erwartet.

„Making of a Man“ feierte am 2. Mai im Rahmen des Go Drag Festivals am Münchner Theater HochX Premiere und wurde vom Publikum begeistert aufgenommen. Orton verantwortet bei dem Projekt Konzeption, Choreografie und steht als Performer*in auf der Bühne: „Hi. Welcome to this Performance Lecture ‘Making of a Man’. I’m Quindell Orton, a queer dancer and choreographer, AFAB – assigned female at birth”, werden wir begrüßt. „And I’ve been researching on how we do patriarchy.” Wie Quindell Orton das Patriarchat performt, können wir bereits während dieser ersten Sätze beobachten: Breitbeinig und mit wenigen, entschiedenen Gesten, welche das Gesagte betonen und unterstreichen.

Im Folgenden gibt uns der*die Vortragende*r, klassisch Lecture, einen Überblick über die sieben Kapitel, die in den nächsten knapp 50 Minuten behandelt werden. Über Chapter 1, powerful voices, macht die Analyse u.a. Station bei den Mask-Ulinities (Chapter 3), den Heroes (4), aber auch der Butch (6) und verspricht, mit einem Blick in „the future“ (7) zu enden.

Im Laufe des Vortrags transformiert sich Orton dann mit viel Humor und einer ebenso starken wie intimen Körperlichkeit von einem männlich konnotierten Anzugträger zu einem kraftprotzenden „Hero“, der in Superheldenpose über Bergspitzen fliegen kann. Gegen Ende der Performance entwickelt sich dieser Held schließlich zum verletzlichen Wesen mit nacktem Oberkörper, das sich jeder eindeutigen geschlechtlichen Zuordnung entzieht.

Orton arbeitet dabei durchweg mit technisch einfachen und offen gelegten Mitteln, bestehend aus Videoeinspielungen, einer Live-Kamera, einer Soundstation sowie O-Tönen, die unterschiedliche Positionen zum Thema wiedergeben: Zu hören sind z.B. Statements der Gender-Forscherin Paula-Irene Villa Braslavsky, aber auch chauvinistische Aussagen von Andrew Tate und Björn Höcke. 

Mit dieser Ausstattung begibt Orton den eigenen Körper immer wieder in unterschiedliche Settings, spielt mit den Markierungen normativer Männlichkeit und Weiblichkeit. So kommt beispielsweise in Chapter 1 die Soundstation zum Einsatz. Orton referiert hier über die Autoritätszuschreibung verschiedener Stimmlagen und pitcht die eigene Stimme durch Tontechnik in unterschiedliche Höhen und Tiefen. Die Effekte sind so komisch wie ästhetisch klug: Denn die so manipulierte Stimme verändert auch die Wahrnehmung des sprechenden Körpers und die Einschätzung des von ihm Gesagten. Was inhaltlich erklärt wird, wird hier gleichzeitig performativ vorgeführt.

Immer wieder wird auch die Aufnahme der Livekamera zu einem szenischen Setting, zum Beispiel wenn Orton in Chapter 2, „Big Boys”, die zwei Ken-Puppen links und rechts neben sich an die rückwärtige Leinwand projiziert und sie zu dritt einen stimmlich ins Kindliche gepitchten Dialog darüber führen, ob „Boys” wohl mit Puppen spielen. Ergebnis: „No, we could play with them, but we don’t want to!“ Ebenso spielerisch gelingt Orton die Verwendung eines muskulös männlichen* Silikon-Bodysuits, der nach einem erst grotesken, dann nach allen Regeln der Drag-Kunst gelungenen Strip präsentiert wird. 

Bei alledem switcht Orton mit großer Leichtigkeit zwischen der seriösen Geste des TedTalks, dem kindlichen Spiel mit den Puppen, den suchenden, weiblich und männlich konnotierenden Bewegungen im Tanz, der maximal ausgestellten Männlichkeit des nackten Oberkörpers. Das ist handwerklich beeindruckend und führt gleichzeitig jeden biologistischen Anspruch auf die Verbindung von Körper und Geschlecht ad absurdum. Anders als in den Drag Cabarets Shows, die auch im Rahmen des Festivals gezeigt werden, lässt die Zuschauer*innen Ortons Performance von Männlichkeit nicht in Jubel über deren Transgressivität verfallen, vielmehr füllt ein erschrockenes Schweigen den Raum angesichts der Gefahr, die von diesen Männlichkeitsbildern ausgeht. Spricht dann auch noch Björn Höcke im verzerrten O-Ton darüber, dass „wir unsere Männlichkeit wiederentdecken müssen“, wird uns ganz anders und wir fühlen uns im Entscheidungswahljahr 2024 leider mehr als gut abgeholt. Solch maskulinistischer Phrasen entledigt sich Orton gleich mitsamt dem muskulösen Oberkörper: Form-dekonstruierend wird der Silikon-Sixpack umgestülpt über den Kopf gezogen und dient dabei kurzfristig als angedeuteter Geburtskanal. Fortan zeigt uns Orton jene feingliedrige, poröse Existenz, die ein Körper jenseits der normativen Geschlechterrollen auch zu leben und darzustellen in der Lage ist.

Die Performance endet mit einem zuversichtlichen O-Ton der Soziologin Villa Braslavsky: „There will be categories, but they will not be as narrow, violent and these categories won't be biologically argued, like ‚in nature‘, so there is nothing you can do about it. That is something, we are overcoming. We have overcome so many other categories, hopefully, like race, and we will do so for gender and sex. That I am sure of.“ Während dieser Worte tanzt Orton in freien, raumgreifenden Bewegungen, was es uns noch einmal ermöglicht, den Körper des*der Performer*in in seiner ganzen Intimität und Unmittelbarkeit zu erleben.

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