Virtuos durch die (Zeitschienen-) Mangel gedreht
Anna Konjetzkys „tomorrow...we...were“ in der Muffathalle
Es war ein vieler Hinsicht bewegender Abend. Sahra Huby erhielt am 04.11.24 in prominenter Anwesenheit der Münchner Szene den Förderpreis Tanz der Landeshauptstadt München. Am Tag zuvor war das Kind ihrer langjährigen Lebens- und Arbeitspartnerin Anna Konjetzky geboren worden. Abwechselnd betreuten Konjetzky und Quindell Orton hinter der Bühne das Neugeborene, um zeitlich versetzt ihrer beider Lebenspartnerin bei der Vorstellung von Konjetzkys „CHIPPING“ und der anschließenden feierlichen Verleihung beizuwohnen. Ein emotionaler Akt, der den Beteiligten die Tränen in die Augen schoss.
Die Jury hat mit der Auszeichnung eine gute Wahl getroffen. Denn Sarah Huby ist aus der Münchner Freien Tanzszene nicht mehr wegzudenken. Als langjährige Wegbegleiterin der Choreografin Anna Konjetzky tanzt sie regelmäßig in ihren Produktionen – sowohl in Solo- als auch in Ensemble-Arbeiten. Als Ko-Kuratorin des 2019 initiierten Playground pflegt sie gemeinsam mit Konjetzky und Quindell Orton einen kreativen Raum, an dem Choreografie aus queerfeministischer Perspektive weitergedacht und wichtige Impulse für die Münchner Tanzszene gesammelt werden. Sahra Huby forscht an Körperbildern und Körpervielfalt und verarbeitet ihre Ergebnisse u.a. in ihrer kartografischen Sammlung „The Atlas Project“ und ihrer ersten choreografischen Arbeit „Hey Körper?!“, einem explorativen Stück, in dem sie Kinder dazu einlädt, über den Körper jenseits seiner normativen Grenzen nachzudenken. Kurz gesagt: Sahra Huby prägt die Münchner Tanzszene durch ihre künstlerischen und inhaltlichen Impulse und engagiert sich zudem als netzwerkende Mentorin und Inspirationsquelle für junge Künstler*innen.
Am Montagabend wurde die sympathische Tänzerin nun mit dem Förderpreis Tanz der Landeshauptstadt München ausgezeichnet. Doch zuerst gab es „Chipping“, das Solo von Huby, das „nichts weniger als ein Ereignis, ein Tanz auf der Kante, nahe an der kompletten Selbstverausgabung“ ist. „2014 beim Festival Rodeo uraufgeführt, ist dieser elektrisierende Abend auch zehn Jahre später noch immer ein Höhepunkt in Sachen Interaktion zwischen Körper und Raum“, begeisterte sich Laudatorin Sabine Leucht und behielt Recht. Das Energiewunder Huby zauberte einen Abend auf die Bühne, der mindestens so modern und aktuell ist wie Konjetzkys aktuelle Produktionen – und vor allem so energetisch wie alles was Huby tanzt. Und so freute sich die Laudatorin „eine knappe Viertelstunde lang hemmungslos loben zu dürfen“ und nahm das Publikum mit auf ihre „Entdeckungsreise dieser Tänzerin, Netzwerkerin und Forscherin mit Körper und Stift.“ Ebenso freute sich die Preisträgerin, die in ihrer Dankesrede betonte, wie privilegiert freie Tanzschaffende trotz ständiger Kämpfe ums Geld und sinkender Subventionen in Deutschland immer noch sind. Dass sie deshalb einen Teil des Preisgeldes zur Unterstützung einer Trans*-Tänzerin, die im aktuellen Brasilien unter Druck geraten ist, verwenden will, zeugt von ihrer menschlichen Größe.
Der Förderpreis Tanz ist mit 8.000€ dotiert und wird alle zwei Jahre verliehen – unter vergangenen Preisträger*innen finden sich u.a. prominente Namen wie Ceren Oran, Moritz Ostruschnjak und auch Anna Konjetzky. Dass mit Sahra Huby durch Marek Wiechers im Namen der Stadt München nun eine Künstlerin ausgezeichnet wurde, die primär nicht choreografiert, sondern als Performerin tätig ist, ist ein wichtiges Zeichen, dass Tänzer*innen immer mehr als gleichwertig schaffende und nicht nur für die Choreograf*innen „ausführende“ Künstler*innen angesehen werden – ein Verständnis, das sich in den meisten Arbeitspraktiken der Freien Szene ohnehin längst eingestellt hat.
Sahra Huby wurde in Brüssel geboren, wo sie Physical Theatre an der „Ecole Internationale de Théâtre Lassaad” studierte und Anna Konjetzky kennenlernte. Konjetzky motivierte sie noch mit Anfang 20, eine Tanzausbildung zu beginnen. Huby, die in klassischen Ausbildungen nicht aufgenommen wurde, beschloss „Gas zu geben“ und sammelte sich bei diversen Lehrer*innen ihre niemals diplomierte Ausbildung zusammen. Sie lernte Butoh und Bodyweather in Belgien, den Niederlanden und Frankreich und studierte von 2004 bis 2006 Zeitgenössischen Tanz an der Etage Berlin. Auch wenn sie selbst heute nicht vom Gaspedal runtergeht: der Einsatz hat sich gelohnt – auch ohne Diplom!
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments