„Kaleidoskopiert“ von Anna Konjetzky. Tanz: Quindell Orton, Amie Jammeh, Sahra Huby,  Aurora Bonetti, Hikaru Osakabe

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Anna Konjetzkys „Kaleidoskopiert“ im Schwere Reiter

Mit ihrer Tanz-Installation „Kaleidoskopiert“ blickt Anna Konjetzky auf 20 Jahre als Choreografin zurück. Ihr ureigenes Universum wird zu einem neuen Ort der Begegnung zwischen Publikum und sechs Interpret*innen.

München, 04/12/2025

Das gibt es wahrlich selten: eine Neuproduktion, die den Abend füllt, einen Raum innovativ anders erschließt, Vergangenes auf (s)eine weiterhin gültige gesellschaftspolitische Relevanz prüft. Der Abend stichtelt in Richtung Zukunft, hat Potenzial zum Ratespiel und kommt genauso leicht wie geheimnis- und humorvoll daher – wie ein heiteres Fest. Die Idee, das eigene Dienstjubiläum als freischaffende, sich mittels Tanz ausdrückende Künstlerpersönlichkeit öffentlich zu inszenieren, könnte allerdings fortan durchaus die Runde machen. Sich hartnäckig gegen alle Schwierigkeiten behauptende Kreative werden ja selten genug publikumswirksam gefeiert bzw. für jahrelangen künstlerischen Einsatz geehrt.


Konjetzky und ihre Protagonist*innen von 46 Kreationen

Anna Konjetzky startete vor 20 Jahren durch – mit einer ersten eigenen Arbeit für die Tanztage Berlin. Schlicht „Einer“ war ihre damalige Produktion betitelt. Interpretiert wurde das Solo von der Tänzerin Sahra Huby – bis heute zweifellos eine von Konjetzkys engsten künstlerischen Mitstreiterinnen und wichtigsten Protagonistinnen. Auch im aktuellen Cast von „Kaleidoskopiert“ fällt Huby mit der für sie so typisch hyperenergetischen Körperintensität auf – neben Edoardo Cino, Aurora Bonetti, Amie Jammeh, Quindell Orton und Hikaru Osakabe, die dem dynamischen Fluss der gesamten Produktion ihrerseits eigene Akzente beimischen.

Es folgten weitere Werke von Konjetzky ausschließlich für Huby. Im Foyer flimmern daraus – im Wechsel mit verschiedenen Ensemblestücken –  Ausschnitte über die Bildschirme: von „Abdrücke“ (2010), Chipping (2014) oder dem unvergesslich wuchtigen Tanzmanifest „Über die Wut“ (2021) im Foyer des Münchner Schwere Reiter. Erinnerungen werden wach, manches erkennt man wieder, anderes hat man vergessen oder sogar verpasst. Die später teils auch in der Aufführung auf drei große weiße Stellwände mit noch anderem (Archiv-)Material projizierten Videos fügen sich zu Stationen, die Konjetzkys Schaffensbandbreite über die Soloarbeiten bis hin zu Auftragsarbeiten für Staats- und Stadttheater aufzeigen.

Den Blick hinter die Kulissen ermöglicht eine Fotostrecke – ebenfalls im Vorraum: Schnappschüsse, die von Brainstorming, Pausen und Proben, familiären Momenten oder Workshops und Veranstaltungen erzählen. Diese finden seit 2019 regelmäßig in unmittelbarer Nachbarschaft auf dem Kreativquartier-Gelände statt, im „Playground“ für künstlerische Recherche und Dialoge, der noch gemeinsam mit noch Quindell Orton und Susanne Schneider gegründet wurde. Erstaunlich dabei ist, dass Konjetzky – bei bislang 46 Kreationen – noch nie zu einer Premiere ins Schwere Reiter geladen hat. Aber jemand, der zum dritten Mal die dreijährige Spitzenförderung der Landeshauptstadt erhält, kann das mit kollektiv geballter Power persönlicher denn je eindrucksvoll nachholen.


„Kaleidoskopiert“ als Totaltheater

Der inspirierende Gedanke von Aufbruch oder Neubeginn bei der erstmaligen Nutzung eines noch jungfräulichen Spielorts schwingt spürbar mit. Sogar das Einlassprozedere wird bei der Uraufführung von Konjetzkys „Kaleidoskopiert“ zu einem für die Zuschauer ungewohnten Parcours. Schuhe, Mäntel und Taschen bleiben draußen im kleineren Studio. Danach betreten alle die zum Totaltheater umgewandelte Hauptbühnenraum durch eine selten genutzte Hintertür. Nirgends steht ein Stuhl. Dafür füllen sich langsam die treppenartig rundum aufgestellten Podeste. Auf den zwei höchsten, sich gegenüberliegenden Plattformen warten bereits je drei Interpret*innen.

Sie erheben sich, bewegen sich, gruppenweise und unterschiedlich in der Qualität ihrer Moves. Dabei verschmilzt die Menge, die im Dämmerlicht mit den Augen stets die Tanzenden sucht, zu einem mobilen Rahmen für dieses Medley aus Tanz, Text (Anna Konjetzky), Video (Joscha Eckhart) und Sound (Sergej Maingardt mit Stücken von Brendan Dougherty und Laura Konjetzky).

Kostüme (Michiel Keuper, Martin Sieweke) kommen nur wenige zum Einsatz. Das bunte Flechtwerk vor der Brust, um die Hüfte und als Schleppe war 2020 zu einem Stück namens „Dive“ entstanden, das dann – fertig einstudiert – aufgrund der Pandemie abgesagt werden musste. Für die Bühne verloren ging damit auch der dank Knisterpacks unter der Kleidung lautmalerische Clou, den Anna Konjetzky jetzt in neuem Kontext für ein zurückgenommenes Duett zweier überraschend aus dem Publikum auftauchender Tänzerinnen wieder ausgegraben hat.


Zeit als Landschaft, Tanz als Veränderung

„What keeps growing? What has been longtime dead already?“, ist die Kernfrage in Konjetzkys zur Performance gesprochenem Text. Zu Beginn lässt sie gesellschaftspolitisch relevantes Weltgeschehen und einschneidende Katastrophen verschränkt mit zeitlich parallelen privaten und beruflichen Begebenheiten Revue passieren. Ein cleverer Versuch, knapp und anschaulich das Vergehen von Zeit und die damit einhergehenden Veränderungen in Worte zu fassen.

„I like to think of that time as a landscape in which we moved and that changed through our movements.“ Dieser Satz charakterisiert „Kaleidoskopiert“ am trefflichsten. Der von Konjetzky selbst gesprochene Text, in den sich ab und an einige der Mitwirkenden einklinken, verleiht dem Abend einen eigenen Zug. Im Fokus steht weder ein bestimmtes Thema noch rückt dramaturgisch ein erkennbares Ziel in Sicht. Vielmehr wird unter Verwendung von altem, filmisch eingespieltem und live on stage kopiertem und neu gemixtem Schrittmaterial über eine imaginäre Brücke von diversen Erinnerungen hinweg getanzt. Einerseits rückwärtsgewandt, andererseits augenzwinkernd in Richtung Zukunft preschend wird das Publikum von Anna Konjetzky & Co durch einen sehr physischen Strudel mitgerissen. Nach 70 Minuten endet die gemeinsame Reise fast abrupt im Hier und Jetzt.

 „The questions get more, keep questioning more, more questions, more doubts. I wanna embrace that – I think we have already to many people out there being overly sure, running and ruining the world with a affirmative confident attitude, where a maybe could be so healing. … I hope that we will keep going keep growing and I hope that we meet again.“ Top, die Wette gilt! Ihre nächste Premiere hat Anna Konjetzky für den 19. und 20. Juni 2026 im Werkraum der Münchner Kammerspiele projektiert.

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