„Listen!“ von Ceren Oran & Moving Borders feat. BartolomeyBittmann – progressive strings

Etwas Wut und viel Großzügigkeit

„Listen!“ von Ceren Oran & Moving Borders feat. BartolomeyBittmann – progressive strings im Schwere Reiter München

Ein Sturm aus Klängen und Bewegung fegt über die Bühne des Münchner Schwere Reiter, wenn Ceren Oran mit treuen und neueren Mitstreiter*innen und dem genialen Streicher-Duo BartolomeyBittmann zum Tanzkonzert lädt.

München, 25/11/2025

Bezeichnend ist die Ansage vor Beginn der Performance: Auch wenn es seltsam wirke, möge man bitte zwischen den Stücken nicht klatschen! 

Wer sich fragt, was das soll, gehört vermutlich zu jenem Teil des Publikums im brechend vollen Schwere Reiter, der öfter zu Tanz- und Theatervorstellungen als in Konzerte geht. Wer sich nicht wundert und in längeren Pausen an sich halten muss, ist wohl primär wegen des österreichischen Duos BartolomeyBittmann – progressive strings zu diesem „Tanzkonzert“ gekommen, wie Ceren Oran ihr neues Stück labelt. „Listen!“ heißt es. Was man sich aufgrund der so hochvirtuosen wie mitreißenden Crossover-Musik nicht zweimal sagen lassen muss. 

Aber der Abend hat auch im besten Sinne etwas von einer Liste, denn die Choreografien, die die Musikstücke begleiten, haben sehr unterschiedliche Handschriften und Temperaturen. Und das nicht von ungefähr. Einige Stamm- und auch jüngere Kräfte des Erfolgsmodells Ceren Oran & Moving Borders haben sich ihre Lieblingsstücke von BartolomeyBittmann ausgesucht und auch gleich selbst auf die Bühne gebracht. 

Ein Trio wie eine Chimäre

Zum Beispiel Jihun Choi, dem man schon wie gebannt zusieht, wenn er nur locker auf der Stelle trabt. Und das auch noch mit dem Rücken zum Publikum. Oder Sofia Casprini, die mit Jadwiga Mordarska und Jovana Zelenović eine Art Karawane bildet. Ganz zart und fast wie eine Chimäre wirkt dieses Trio, als hätte sie die ohrschmeichelnde Anfangssequenz von „Haim“ aus dem Dunkel hervorgelockt.  Doch Musik wie Szene geraten dann doch noch ordentlich in Wallung.

Die einzelnen Stücke bleiben autark, fügen sich aber in ein mehr oder weniger engmaschiges Netz aus Klang und Bewegung ein. Bald folgt die Choreografie der Live-Musik, dann wieder scheint diese den Tanz vor sich her zu treiben. Und manchmal gibt der Abend auch schöne kleine Rätsel auf wie etwa zu Beginn, als sechs Menschen in und neben Lichtkreisen stehend Streicher-Bögen durch die Luft peitschen lassen und der Zuschauer noch nicht weiß, wer von ihnen Tänzer*in oder Musiker*in ist. 

Enorm expressiv und nicht zu übersehen

Später gibt es daran keinen Zweifel mehr, denn Matthias Bartolomey am Cello und Klemens Bittmann mit seiner Geige oder Mandoline sind auch körperlich enorm expressiv und nicht zu übersehen. Ihre raumfüllenden Sounds sind mal leicht und mal bombastisch, können aber auch fauchen, schnattern, bollern und knarzen. Und man spürt in jedem Moment, was die beiden meinen, wenn sie sagen, dass in ihrer Musik „jeder Griff, jede Geste und jede Mimik“ den Tönen ebenbürtig ist. Davon, dass Ceren Orans Tanz immer auch Musik ist, kann man in München sowieso ein Lied singen. Und so scheint ein Abend wie dieser im Nachhinein längst fällig gewesen zu sein. Er wird zudem getragen von einer Erfolgswelle, auf der Oran gerade reitet. Vollkommen verdient wurde ihr in der Münchner freien Szene entstandenes Kindertanzstück „Spiel im Spiel“ zur Tanzplattform Deutschland 2026 eingeladen, und „Gute Wut“, ihre erste Arbeit für die Münchner Schauburg, gewann den Faust-Preis in der Kategorie „Regie Theater für junges Publikum“. Congratulations!

Entdeckung der Individualität

Auf dem Abendzettel von „Listen!“ steht Orans Name unter dem Punkt „Konzept, Künstlerische Leitung“ und über drei von acht Tanzstücken auch unter „Chorografie“: Eins davon ist der körpersprachliche Dialog zwischen Jihun Choi und Jaro Ondruš, der mit den Händen beginnt und – angetrieben von der Musik – immer weitere Kreise zieht, obwohl die beiden Tänzer auf ihren einander gegenüberliegenden Stühlen sitzen bleiben. Ein Höhepunkt des Abends ist Orans Choreografie zum dynamischen „Neptun“, in der fünf Tänzer*innen sich aktiv oder passiv aus einem breitbeinig eingaloppierenden Pulk lösen und ihre Individualität entdecken, bis sie am Ende einer Art repetitivem Wahn verfallen, bis ihr schweres Atmen auch die Soundebene füllt.

Wie in frischer Herbststurm

Im letzten ihrer drei Stücke aber fegt Ceren Oran selbst über die Bühne, erst im Duett mit ihrer langjährigen künstlerischen Partnerin Karolina Hejnová, um sich dann wie ein frischer Herbststurm kurz auch unter den ausgelassenen Cast des Folgestücks zu mischen. Wie die beiden sich tänzerisch anflirten und knapp voreinander stehend mit geschlossenen Augen zu spüren scheinen, ist für Insider eine anrührende und amüsante Anekdote – und für alle ein seltenes Schmankerl. 

Viel Wut und abstraktes Aufbegehren steckt in diesem Abend, aber auch viel Schönheit und die für Oran typische Großzügigkeit. Politisch heiße Eisen packt sie ein andermal wieder an. Für den Moment scheint der Wille zu dominieren, sich nicht herunterziehen zu lassen von der Realität. So ist vor allem der Schluss von „Listen!“ heiter und umarmend: Eine Wohltat im in jeder Hinsicht grauen und beklemmenden November.

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