Auf dem Weg in neue Höhen
Die Heinz-Bosl-Stiftung mit ihren Herbstmatinéen im Nationaltheater
Der Jugendstil, die freie Tanzszene und spektakuläre Tänzerinnen, die wie Isadora Duncan um 1900 in ihrer radikalen Abkehr vom Ballett in München gastierten
An der Wende zum 20. Jahrhundert stand München im Rampenlicht – zum einen als neues Zentrum des Jugendstils, zum anderen als höchst innovative Theaterstadt. Zwei sich ideal ergänzende Ausstellungen ermöglichen aktuell eine perfekte Zeitreise zu diesen Anfängen der Moderne: die umfangreiche Ausstellung „Jugendstil. Made in Munich“ in der Hypo-Kunsthalle und die kleine, aber feine Schau „Kunst und Bühne. Spielorte des Münchner Jugendstils“ im Deutschen Theatermuseum.
Dass gerade der Tanz – oft prominent in Szene gesetzt auf vielen Titelblättern der namensgebenden illustrierten Zeitschrift „Jugend“ – eine Art Leitmotiv des Jugendstils war, belegen zahlreiche historische Fotografien. Montiert man eine Serie solcher mit der Kamera festgehaltener Auftrittseindrücke zur filmischen Impression aneinander, kann man durchaus Rückschlüsse auf mögliche tänzerische Bewegungsabläufe gewinnen und diese noch Hinweisen aus ehemaligen Presseberichten kombinieren.
Mehr über die spektakulären Auftritte und Vorstellungsorte berühmter Tänzerinnen, die wie Isadora Duncan um 1900 in ihrer radikalen Abkehr vom Ballett in München gastierten, erfährt man im Rahmen der zweistündigen „Dance History Touren“. Die geführten Themen-Rundgänge, ursprünglich entwickelt im Rahmen des International DANCE Festival München, starten jeweils im Foyer der Münchner Kammerspiele
Ein „Signaturstück“ dieser Zeit war – bewusst inszeniert als zeitgenössisches Reenactement – am 15. November 2024 im ersten monumentalen Saal des Ägyptischen Museums in München zu erleben: der „Tanz der Isis“ oder auch „Tanz der Mondgöttin“ von der aus Riga stammenden Else/Elsa Margaretha Luisa von Carlberg (1883-1970).
Mit Marta Rak als faszinierender Interpretin hat ihn das Team der Munich Dance Histories um den Münchner Germanisten, Kunsthistoriker und Publizisten Thomas Betz sowie die Münchner Choreografin und Rekonstruktionsexpertin Brygida Ochaim eigens neu einstudiert. Welche Musik-Arrangements des Komponisten Georg Capellen den „Tanz der Isis“ begleiteten, ist nicht überliefert. Deshalb band Brygida Ochaim den Musiker und Komponisten Tobias Weber zwecks Kreation eines neuen Klangeindrucks mit in den Probenprozess ein. Aller Ausdruck wurde in ein herrschaftlich-kantiges, irgendwie überirdisch-imposantes Durchschreiten des Raums gelegt, unterbrochen beziehungsweise in seiner stilistischen Strenge verziert von wohlplatzierten Wendungen, Drehungen und stets klar definierten Schwüngen der mit Hilfe von Stäben und leicht knisterndem Stoff zu mächtigen Flügeln erweiterten Arme.
Als Grundlage hierfür dienten lediglich zehn zeitgenössische Schwarz-Weiß-Fotografien von Wanda von Debschitz-Kunowski, Hugo Erfurth, Hanns Holdt, Franz Löwy oder Madame d’Ora. Darauf ist die Tänzerin in ihrem geflügelten Kostüm und unterschiedlichen Posen ihres Solos zu sehen. Außerdem fertigte der Maler und Zeichner Albert Weisgerber für Else von Carlberg in den Jahren 1910 und 1911 zwei eindrucksvolle farbige Plakate an. Auch diese dienten Brygida Ochaim als Inspirationsquelle zur Neueinstudierung des „Tanz der Isis“. Teile davon fanden Eingang in die Jugendstil-Ausstellung der Kunsthalle München und sind dort in einem Raum mit anderen Exponaten zu sehen, die das Interesse damaliger Künstler*innen – unter anderem aufgrund einer Sehnsucht nach Ursprünglichkeit – an allem „Exotisch“-Außereuropäischen vorstellen.
Dem Solo in geometrisch-linearem Bewegungsstil, das Else von Carlberg 1909 im Münchner Künstlerhaus unter ihrem Pseudonym Sent M’ahesa als Teil der „Altägyptischen Tänze“ erstmals präsentiert hatte, waren höchst aufschlussreiche Vorträge vorangegangen – vom Tanzhistoriker Thomas Betz, von Dr. Arnulf Schlüter, dem Direktor des Ägyptischen Museums, und von Brygida Ochaim selbst. Im besten Fall wird man vor allem über die informativen Details zur Biografie der Tänzerin und ihrer Studienaktivitäten in München hier bald online im kontinuierlich mit den Recherchen wachsenden „Archiv zur Geschichte des freien Tanzes in München von 1900 bis zu Gegenwart“ auf der Website der Munich Dance Histories nachlesen können.
Für ihr Kostüm wie ihre Bewegungen ließ sich Sent M’ahesa einst von der Profilstellung der Beine, des Kopfes und der En-face-Haltung des Oberkörpers inspirieren, wie sie sie von ägyptischen Flachreliefs und Malereien, aus verschiedenen öffentlichen Sammlungen kennengelernt hatte. Sent M’ahesas „Tanz der Isis“ verweist auf die altägyptische Göttin der Geburt und Wiedergeburt, wie sie auf zahlreichen Sarkophagen mit ausgebreiteten Flügeln abgebildet ist. Gewiss eine schöne Metapher für diesen unvergesslichen Abend wie diese wieder zu entdeckende Tanz-Ära. Das Publikum war begeistert, Reprisen sind nicht ausgeschlossen. Und die Munich Dance Histories haben einen Traum: Gastauftritte in ägyptischen Sammlungen weltweit. Na dann: Guten Flug!
„DANCE History Tour – Tanz und Jugendstil in München“, 23.11. und 20.12., Infos unter www.munich-dance-histories.de; Karten unter www.kunsthalle-muc.de und an der Kasse der Kunsthalle.
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