„Non + Ultras“ von Moritz Ostruschnjak

Wollt ihr Teil einer Massenbewegung sein?

Moritz Ostruschnjaks „Non + Ultras“ in München

Moritz Ostruschnjaks neues Stück „Non + Ultras“ nähert sich dem Themenkomplex Fantum und Fanatismus suchend. Doch tänzerisch fehlen neue zündende Ideen. Zwischen eindrucksvollen Bildern hängt der Abend immer wieder durch.

München, 17/01/2025

Fein säuberlich haben die acht Tänzer*innen sie in der Muffathalle zu einem Flickenteppich ausgelegt: Gut 500 Fanschals, so bunt und wahrscheinlich so wenig Öko wie Plastikmüll auf einer Deponie. Nur eben viel ordentlicher und voller ex- und impliziter Botschaften. „1899 Hoffenheim“: Behauptete Tradition! „Germany vs. England“: Hier clashen spielerisch Nationen. „Sauerland Power“ und „High as fuck”: energetische Zustände. 

Zurück im semi-aktivistischen Tanz

Dies und mehr steht auf den Einzelexemplaren, die Guido Badalamenti, David Cahier, Edoardo Cino, Daniel Conant, Nora Monsecour, Luca Seixa, Miyuki Shimizu und Magdalena Agata Wójcik wie Trophäen über ihre Köpfe halten. Mit ihnen - den Botschaften wie den Schals - gehen sie auf das Publikum zu und legen sie ab, um den vielfarbigen Teppich zur Zuschauertribüne hin zu verlängern. Nicht im Pulk und stolz, wie es echte Fans wären, sondern einzeln und fast stoisch bringen sie einem buchstäblich das Thema des Abend näher. Mit einem ganzen Begriffs-Sammelsurium hat Moritz Ostruschnjak den Titel seiner neuen Tanz-Performance „Non + Ultras“ unterfüttert: „Politik, Fantum, Umsturz, Fanatismus, Protest.“ „Von Swifties bis Fußball-Ultras“ reiche das Spektrum, das hier beleuchtet werden soll. Womit der gefeierte Münchner Choreograf nach seinem ungewohnt zarten und bewegenden Ausflug in die Gefilde fast privater Paarbeziehungen und sensationeller Live-Musik mit „Cry Why“ wieder auf dem Feld des Semi-Aktivistischen angelangt wäre, das seine Vorgänger-Arbeiten so erfolgreich wie ansehnlich beackert hat.

Auf der schmalen Grenze zwischen ironischer Affirmation des mindestens problematischen politischen Status Quo und seiner Gegenbewegung sahen seine Tänzer*innen dabei immer enorm cool und sexy aus. Das tun sie auch diesmal, wenn sie in einzelnen Szenen in alte Bewegungsmuster fallen, als habe sich urplötzlich ein Zeitloch aufgetan. Lässige Moves mit uniform hoher Street Credibility, aber starker individueller Färbung bestimmen auch in „Non + Ultras“ die Choreografie, dazu Arm- und Handbewegungen, die teils sehr konkrete Peace-Zeichen, Schweigefüchse, Thumb Ups und Stinkefinger zeigen.

Bengalos und Beethoven

Doch das Choreografische ist reduziert auf einzelne Inseln vor und zwischen den Videos von Moritz Stumm und den Musik-Zuspielungen von Jonas Friedlich. Die zeichnen anfangs eine eindeutige Situation: Feuerspuckende Bengalos in Großaufnahme, dazu akustisch eine windig rauschende Unschärfe, aus der sich Fangesänge in verschiedenen Sprachen herauskristallisieren. Dann reiht sich eins ans andere: „Hey, Eintracht Frankfurt“ zur Pippi-Langstrumpf-Melodie, Mickie Krauses „Oh wie ist das schön“, Tanzbares wie „Freed from Desire“, Schicksalergebenes wie „Que Sera, Sera“ und Erhabenes von Beethoven stoßen auf Bilder und Filme von jubelnden Fans, brennenden Stadionrängen, umgestürzten Polizeiautos, Fahnen, Maskottchen, Flitzern, aber auch auf einen priesterlich gewandeten Arm, der eine Hostie hält und auf mit Fanarmbändern behängte Arme von Taylor Swift Fans.

Dieses Beballern mit einer Vielzahl von Eindrücken kennt man von Ostruschnjak, wenn auch temporeicher und raffinierter geschnitten als dieses Hintereinander, das unterbrochen wird von stillen Momenten ohne Musik. Wie der Tanz sich zwischen diesen beiden Ebenen und zum Thema verhält, wird selten klar. Mal klumpt eine Männergruppe sich zu einer Körperskulptur zwischen Bromance und Schlägerei zusammen, mal bleiben Münder im Jubel oder Angstschrei offenstehen. Da gelingt der Kantengang, da stellt die Choreografie Fragen, die die Zuschauenden in ihren Köpfen weiter ventilieren können. Und wenn die dekorativen Schals als Schulterpolster unter die T-Shirts gepackt, zu Bällen geformt und in die Luft geworfen werden, ergeben sich tolle Bilder, sofern das Auge oder die Kamera den Moment erwischen.

Keine Lust auf Rausch?

Aber jenseits des Moments wird es bisweilen beliebig und fast zäh. Der Abend lahmt. Womöglich aus Gründen. Denn der Tanz mag sich offenbar nicht mal probeweise einlassen auf das, worauf Film- und Tonebene zielen. Sei es der Rausch der Masse, die sich hinter einem Verein, einem Star oder einer (rechten) Ideologie versammelt. Seien es der Fanatismus und die Gewalt, die derartige Räusche gerne nach sich ziehen. Und selbst der Sehnsucht nach Zugehörigkeit misstraut die Choreografie, in der dynamische Gruppenszenen selten sind.

Vielleicht, denkt man am Ende, haben sich Moritz Ostruschnjak und sein Team auch zu sehr in die an sich großartige Bühnenbildidee verliebt. Denn so schmuck der Teppich aus Schals ist und so sprechende Szenen sich mit ihnen formen lassen – etwa wenn über und über mit Schals beladene Tänzer entindividualisiert und blind über die Bühne tapern – ihr Um- und Umschichten kostet geraume Zeit, die Ostruschnjak vielleicht besser für eine ausgeklügeltere Choreografie verwendet hätte. Denn dass er das kann und dass das nicht auf Kosten der Bilder gehen muss, hat er ja oft aufs Eindrücklichste bewiesen.

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