Hirn unter Dampf
Uraufführung von „Transfigured“ von Rykena/Jüngst im Rahmen des Münchner Rodeo Festivals
Mehrere Dreier-Grüppchen verteilt im Raum. Eine Person macht eine Bewegung. Die zweite fasst sie in Worte. Ganz nüchtern „anatomisch beschreibend“, melodisch gesungen, abstrakt, poetisch oder gereimt. Mischformen sind möglich, der Fantasie sind erst mal keine Grenzen gesetzt. Und so kann sich das anhören: „Daminis Arme haben eine sanfte, wolkengleiche Art, sich zu bewegen,“ hört man hier. Nebenan veranschaulicht jemand eine andere Bewegung durch ein rhythmisches Zischen oder Summen. Und auch Wortwiederholungen geben der Vorstellungskraft Futter: „Tschak-bum, du haust, haust, haust…“ Und dann gibt es noch Person Numero Drei: Sie überprüft die Passung von Bewegung A und Beschreibung B. Wenn diese Person blind ist, kann sie A zur Kontrolle ertasten und so Feedback geben, ob ihr B genügt oder in eine falsche Richtung weist.
Ich bin zu Gast bei einer kleinen Workshop-Demonstration im Rahmen des ersten LISTENING-Kongresses im Münchner Kreativquartier. Sein voller Name: „Künstlerische und integrierte Audiodeskription – Aesthetics of Access.“ Dazu geladen haben Anna Donderer vom Rat&Tat – Kulturbüro und Carolin Jüngst und Lisa Rykena, die sich in ihrer gemeinsamen tänzerischen und choreografischen Arbeit schon seit Jahren mit dem Thema Teilhabe und Zugänglichkeit beschäftigen und auch unabhängig davon als Audiobeschreiber*innen arbeiten. Gemeinsam mit rund zwei Dutzend weiteren Expert*innen auf diesem Feld haben sie sich schon zwei Tage lang ausgetauscht und beraten. „Wir sind ein loser Verbund verschiedener Netzwerke“, sagt Jüngst, die erstmals zusammenkommen, um Erfahrungen zu teilen, Kräfte zu bündeln, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln und – last but not least – auch Gelder zu generieren, um Audiodeskription als künstlerische Praxis weiter zu erforschen. Das bedeutet: als integralen Bestandteil eines Kunstwerkes statt als „Inklusionsservice für einige.“
Die Teilnehmer*innenschaft ist divers; es sind Tänzer*innen, Performer*innen, Musiktheatermacher*innen, Nonvisual- und Access-Dramaturg*innen, Tanzwissenschaftler*innen oder Behindertenrechtsaktivist*innen dabei, auch Künstler*innen aus Österreich und Mitglieder der Kollektive Quiplash aus London und Criptonite aus Zürich. Die Fragen, die sie alle beschäftigen: Was bedeutet es, einen Hörraum aufzumachen, der einen eigenen ästhetischen Wert hat? Und wie können wir es schaffen, dass alle gehört werden? Und zwar von Anfang an.
Wie wichtig es ist, auch Blinde und Sehbehinderte an der Audiodeskription zu beteiligen, berichtet die Hörfilm-Autorin Manuela Schemm. Wird aufgrund von Budgetkürzungen die blinde Person im Audiodeskriptions-Team eingespart, führe das interessanterweise oft zu unnötig ausführlichen Beschreibungen. Ein Satz wie „Das Telefon klingelt. Kommissar Leitmayr hebt in seinem Büro den Hörer ab“ ist zum Beispiel vollkommen überflüssig für Blinde, die das ja alles hören.
Drei Mitglieder des Hamburger Kollektivs (In)operabilities brachten Hörbeispiele von ihrer jüngsten Produktion „Die Insel“ mit, einem „vielsinnlichen Musiktheater“ für und von „Menschen mit verschiedenen Wahrnehmungsstilen“. Gesungene Audiodeskription wie „Ich strecke meinen Arm zu dir“ wird darin Teil der Figurenrede. Beschreibungen wie „Alcinas Handgelenke formen eckige Formen“ scheinen mir bedingt interessant und auch sprachlich ausbaufähig. Um ein Gewitter in den Hörraum zu übertragen, ruft jemand wiederholt „Blitz!“, Donnerbleche scheppern und die Stimmen werden betont ängstlich, weil bei der Live-Performance offenbar gerade auch der Boden bebt. Daneben wird gesprochen und gesungen. Mir ist das eindeutig zu viel. Eine blinde Teilnehmerin reagiert aber sehr begeistert. Es scheint, als seien bei ihr da, wo ich nur Chaos wahrnehme, Bilder entstanden. Noch ein Argument für gemischte Arbeitsgruppen.
Irgendwann fällt aber auch der Satz „Wie viele Bilder verkraftet eigentlich eine blinde Person?“ Alles in Sprache zu übersetzen, was auf einer Bühne gleichzeitig zu sehen ist, kann auch nicht die Lösung sein. Es braucht eine Form der Fokussierung, ein auswählendes, leitendes Beschreiben. Und kreative Ideen: Mit Kostümen, die unterschiedliche Geräusche machen, kann man zum Beispiel auch vermitteln, welche Figur sich gerade wie schnell wohin bewegt. Und sich die Worte sparen.
Integrierte Audiodeskription ist idealerweise auch in den Probenprozess integriert. Und Profis wie Rykena/Jüngst denken, wenn sie ein Stück machen, die Hörebene von Anfang an mit. Dann ist sie am Ende auch nicht übermöbliert. Musik, Schritte, Atem sprechen ohnehin für sich. Bei nachträglichen Audiodeskriptionen für schon bestehende Stücke muss man oft improvisieren. Carolin Jüngst hat das zum Beispiel für Doris Uhlichs Ensembletanzstück „In Ordnung“ an den Münchner Kammerspielen gemacht und in ihr Skript Bemerkungen eingetragen wie „Keine Reizüberflutung hier!!!“, wenn auf der Bühne gerade ohnehin akustisch viel los ist. An Sätzen, die von ihr eingesprochen wurden, merkt man auch, wie wichtig das Atmosphärische bei der Beschreibung ist – und dass die Grenzen zwischen Deskription und Interpretation fließend sind: „Die Performer*innen produzieren enorme Energie, die Qualität ist nicht mehr nach innen gekehrt und verbissen, richtet sich nach außen, in den Raum.“
Wie beschreibt man eigentlich Tanz? An diese zentrale Frage kann ich als Kritikerin andocken und stelle fest, dass sich meine Arbeit mit der von Audiodeskribierenden an einigen Punkten trifft, wenn es deren Ziel ist, „eine aufregende Erfahrung zu kreieren, in einer Sprache, die entertainend, poetisch und transparent ist für das eigene Subjekt und alle Elemente berücksichtigt, die es im Theater gibt.“ So Jüngst, die auch noch sagt: „Das Monotone und das Objektive kritisieren wir“. Man stelle sich eine vollkommen unbeteiligte Stimme vor, die sagt „Zwei Menschen haben Sex“. Objektiv ist nichts falsch an dieser Aussage, aber sie ist auf vielfache Weise sehr weit weg von der konkreten Situation. Und das, was Kunst zu Kunst und ihre Rezeption bereichernd macht, ist ja immer konkret.
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