Interventionen zwischen Tanz und Film
Magdalena Reiter und Ian Kaler bei der Tanzwerkstatt Europa
In München sind interdisziplinäre Kunstformate und v.a. solche, die Videokunst und Clubkultur mit darstellenden Künsten verbinden, noch eine Seltenheit. Und somit setzte Joint Adventures im Rahmen des bayerischen Netzwerks Access to Dance 2024 einen richtungsweisenden Impuls mit der Performancereihe SYNAESTHETIX, in der Tanzkünstler*innen mit Videokünstler*innen und Musiker*innen gemeinsame Performances kreieren. Nach der erfolgreichen ersten Ausgabe im vergangenen Jahr in der Muffathalle wurde das Format in diesem Jahr in den ZIRKA-Space im Münchner Kreativquartier verlagert – ein Ort, der mit seiner rau-industriellen Ästhetik und seinen zwei großen Hallen wirklich perfekt passt. Spannend auch die Zusammensetzung des Publikums an diesem Freitag- und Samstagabend: eine Mischung von Menschen unterschiedlicher Generationen und Kunstinteressen, was sonst ja nicht allen Tanzveranstaltungen gelingt.
Auch das Lineup von SYNAESTHETIX #2 kann sich sehen lassen. Neben den Musiker*innen von PORTRAIT XO, die in ihrer halbstündigen DJ-Session durch das Mapping von Gesten und kleinen Bewegungen rot bis gold-sprenkelnde Visuals an die Wand spielen, ist da z.B. Ian Kaler, der in diesem Jahr auch bei der Tanzwerkstatt Europa in München zu sehen war. Anders als in vielen seiner Arbeiten stehen hier nicht Pferde im Fokus der ästhetischen Auseinandersetzung. Gemeinsam mit den Live-Visuals von Dafne Narvaez Berlfein und dem Soundtrack von rRoxymore kreiert Kaler einen treibenden Versuchsraum, in dem seine zunächst fast schüchtern-reduzierten und dann immer wieder in energischen Impulsen mündenden Bewegungen von einer Kamera erfasst und auf die beiden Seitenwänden projiziert werden. Während sich Kaler immer wieder in eine an Matrix erinnernde Pose an die Wand lehnt, erscheint sein live generierter Video-Avatar wie die bunten Schemen einer Wärme-Kamera.
Den Anfang machen die beiden Performer*innen Hannah Timbrell, Dong Uk Kim mit „In Medias Res“ von Liquid Loft / Chris Haring. Die Bühne wird zu einem intermedialen Spielplatz, auf dem die Tänzer*innen nun wirklich jede mögliche Aufgabe in einer Tanzproduktion übernehmen. Sie bauen sich ihr Bühnensetting selbst auf und um, filmen sich gegenseitig, ändern die Lichteinstellungen – und sie tanzen natürlich. Im realen 3D-Raum sind sie umringt von mythologisch anmutenden Masken und Kopfbedeckungen, die im Zusammenspiel mit den sich überlappenden Videoanimationen eine spannende Vermischung von bunt-verzierter Detailliertheit und technischer Abstraktion bilden. Immer wieder lassen Timbrell und Kim eine meterlange, von der Decke hängende Sprungfeder bouncen und imitieren in abstrakten Bewegungsschemata das Auf und Ab. Eine interessante Versuchsanordnung, die v.a. von der Durchlässigkeit und Sichtbarkeit der verwendeten Mittel lebt.
Zum Schluss dann ein tänzerisches Feuerwerk: Der italienische Choreograf Jacopo Godani und der Münchner KI-Künstler Quasimodo untersuchen gemeinsam mit fünf Tänzer*innen des Staatstheaters am Gärtnerplatz Feedbackschleifen von Tanz und künstlicher Intelligenz. Während die Bewegungen der Tänzer*innen auf der einen Wand erfasst werden, werden sie auf der Rückwand aus Überwachungskameraperspektive wieder ausgespielt und mit KI-generierten Kommentaren auf die körperlichen Aktionen untermalt. Hauptsächlich sind da Lobeshymnen oder Anfeuerungsphrasen zu lesen, die in letzter Konsequenz vage bleiben und nicht zu sehr auf Details der Choreografie eingehen. Und so bleibt ein Großteil des Publikums auch bei der Live-Performance der Tänzer*innen hängen und lässt sich von den spannungsgeladenen Posen, die in explosionsartigen Impulsen aufgelöst werden, fesseln. Eine spannende Setzung ans Ende des SYNAESTHETIX-Abends, denn in keiner der anderen Arbeiten war der Tanz von den Video- und Technikaspekten so abgesetzt wie hier. Der Jubel für die virtuose Darbietung des Ensembles ist verständlicherweise groß.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments