„Across context“
Start des International DANCE Festival 2025 in München
Ligia Lewis feiert Europa-Premiere beim International DANCE Festival München
Von Liudmyla Voloshko
Ein Moment der Nähe: Ligia Lewis liegt auf dem Boden, die Hand ausgestreckt. Eine Zuschauerin nimmt sie vorsichtig, fast zögerlich. Was bedeutet diese Geste? Darf man sie halten? Wie tief geht diese Verbindung?
Die performative Installation „study now steady“ von Ligia Lewis entfaltet ein komplexes Erlebnis, das Körper, Raum und Publikum in eine intensive Wechselwirkung bringt. Zu sehen ist die Arbeit im Rahmen des International DANCE Festivals im Haus der Kunst. Sie fordert Zuschauer*innen heraus, ohne einfache Erzählungen auszukommen, und erzeugt eine Spannung zwischen Kontakt, Distanz und Bewegung.
Zu Beginn bewegen sich drei Performer*innen durch den Raum, bevor Ligia Lewis selbst als vierte hinzukommt. Ihre Gesichter sind entspannt, neutral, fast losgelöst von Emotionen. Die musikalische Begleitung ist eine wiederholende, vokale Klanglandschaft, meditativ und spannungsgeladen zugleich. Die Bewegungen wirken unstetig, manchmal zittrig oder unkontrolliert – als von einer fremden Kraft gelenkt. Die Performer*innen senden durch Blicke eine Einladung – oder eine Herausforderung? Die Nähe erzeugt Unsicherheit beim Publikum: Wie nah darf man kommen? Wird man Teil der Performance?
Die Körperhaltungen sind natürlich und zugleich befremdlich. Die Performer*innen verharren lange in scheinbar willkürlichen Positionen, die große körperliche Spannung erfordern. Bewegungen entstehen nicht choreografisch linear, sondern organisch und unvorhersehbar – manchmal winzig wie ein Fingerzucken, dann kraftvoll mit Geräuscherzeugung. Vom Stehen wechseln sie langsam zum Liegen, was die Ritualhaftigkeit und Zeitdehnung verstärkt.
Machtverhältnisse im Körper
Ein zartes, aber spürbares Machtspiel zeigt sich, wenn Performer*innen sich gegenseitig dominieren, kontrollieren oder unterwerfen – ohne Lautstärke, aber mit großer Präsenz. Diese Dynamiken spiegeln gesellschaftliche Machtstrukturen wider, besonders solche, die mit racial dominance verknüpft sind. Lewis schafft so eine performative Welt, in der Machtverhältnisse aufgebrochen und sichtbar werden.
Das Gefühl, dass die Körper von einer unsichtbaren Kraft gesteuert werden, zieht sich durch die gesamte Installation: Geist und Körper scheinen entkoppelt. Diese Entfremdung symbolisiert Fremdbestimmung und Kontrollverlust – Erfahrungen, die rassifizierte Menschen oft machen müssen. „study now steady“ wird so zu einer gewissen Meditation über Widerstand, Unterwerfung und Selbstbestimmung.
Im Verlauf steigert sich die Intensität: Bewegungen werden schneller, die Musik verdichtet sich zu einem dramatischen Klangteppich mit Anklängen an Kirchenmusik. Neonfarbene Lichteffekte tauchen die Performer*innen in eine surreale Atmosphäre. Die Körper wechseln zwischen scharfkantigen und fließenden Bewegungen, die stets ins Zentrum gerichtet sind.
Die Nähe zum Publikum erzeugt eine Spannung zwischen Teilhabe und Zurückhaltung. Zuschauer*innen schwanken zwischen dem Impuls zur Interaktion und der Unsicherheit, ob das erwünscht ist. Gegen Ende verschmelzen die Performer*innen zu einem kollektiven Körper, singen gemeinsam und bewegen sich synchron. Das Mantra „Perception and surfaces, we go round and down...“ bleibt rätselhaft und vieldeutig – wie ein Echo, das sich im Raum verfängt.
Durch die dichte Nähe zum Publikum und die Wiederholung bestimmter Bewegungen entsteht ein Raum, in dem sich Macht, Kontrolle und soziale Dynamiken körperlich andeuten – ohne sie klar zu benennen. Die Performance fordert heraus, eigene Grenzen zu spüren und zugleich die Möglichkeit einer kollektiven, widerständigen Gemeinschaft zu erleben.
Wer sich auf die unvorhersehbaren Bewegungen und die Spannung einlässt, erlebt eine intensive Auseinandersetzung mit rassistischer Dominanz und dem Wunsch nach Befreiung. Ein transformatives Erlebnis, das nachwirkt – in Geist und Körper.
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Dieser Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung „DANCE – Schreiben über Tanz“ am Institut für Theaterwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München im Sommersemester 2025 unter der Leitung von Anna Beke.
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