„This resting, patience“ Ewa Dziarnowska beim International DANCE Festival München, Tanz: Leah Marojević

„This resting, patience“ von Ewa Dziarnowska beim International DANCE Festival München, Tanz: Leah Marojević

SINNLICHE ZEITKAPSEL

Ewa Dziarnowskas Long Durational Performance „This resting, patience“ verzaubert beim International DANCE Festival im schwere reiter

Ein sinnliches Verweilen, ein Spiel mit Intimität, Nähe, tänzerischer Präzision und Freiheit. Ein unkonventionelles Gebet an die Liebe, das Leben. Ein Geschenk.

München, 26/05/2025

Von Kristina Isabella Trněný

Ultramarinblau leuchtet durch den großzügig geöffneten Türspalt. Dunkle Schatten unterbrechen kurzzeitig die strahlende Farbfläche. Ewa Dziarnowska steht am Rande des Durchgangsbereichs: eine stille, persönliche Begrüßung, nonverbal, warm. Weiter geht es durch einen schwarzen Vorhang, hinein in den Raum, der heute womöglich mehr Ausstellung als Bühne beherbergt. Das Schaffen der Künstlerin lebt zwischen Installation und Performance oszillierenden Zwischenräumen.

Entlang der Wände lässt sich das Publikum nieder. Ko-Performerin Leah Marojević beginnt im durchscheinenden blauen Abendkleid mit achtsamer Präsenz zu tanzen, abwechselnd von einem Fuß auf den anderen tippend. Dionne Warwicks „What the World Needs Now“ (1967) erklingt. Dziarnowska gesellt sich dazu, in Blue Jeans, bleibt auf Abstand. Es entsteht ein Wechselspiel des Sich-Raum-Gebens, mit Armschwüngen, von improvisatorischer Qualität und Präzision zugleich. Je intensiver die Musik, desto geladener der Tanz – mal unisono, mal unabhängig. Man spürt den Genuss an Bewegung, am eleganten Groove, das gegenseitige Zusehen, das geduldige Verweilen. Nach zahlreichen Wiederholungen endet der Song erstmals nach einer derwischhaften Drehung mit offenen Armen. Die Künstlerin stampft kraftvoll, ausatmend, ihre Partnerin tanzt feinsinniger – ein subtiles Kontrastspiel.

Verführerische Nähe

In der Stille formt Dziarnowska einen Stuhlkreis um Marojević – eine Einladung zur Nähe. Beine der Zuschauenden wippen im Takt der Musik, das Licht dimmt. Nach dem letzten Loop des Tracks ertönen diesmal nach kurzem Innehalten Hundegebell und Schellen. Stühle werden neu positioniert, Dziarnowska bewegt sich in Zeitlupe: eine kontrollierte Rolle vorwärts, verwinkeltes Aufrichten, ein Schmelzen zum Boden. Hände streichen das eigene Bein, den tiefblauen Teppich entlang, der Raum wird zur Zeitkapsel. Sachte schmiegt sich die Tänzerin an eine besetzte Stuhlkante, kurz darauf an einen Zuschauenden selbst. Marojević tritt hinzu. Stellungen, die an Strip-Kontexte erinnern, nackte Haut zieht vorbei, meditativ-mystische Klänge wechseln mit Rock. Die Bewegungsqualität der Performer*innen bleibt unverändert. Das Publikum ist gebannt: Plätze werden getauscht, man beugt sich vor, Fußspitzen weichen aus. 

Eine polnisch überarbeitete Version von „Rhythm is a dancer“ führt zu synchronen Duo-Sequenzen. Vereinzelte Akzente blitzen auf, gekreuzte Arme münden in über dem Herzen gefaltete Hände. Dann: Stille. Die beiden Bühnenkünstlerinnen verschwinden, einige Gäste gehen – ich will alles andere als raus. 

Was passiert jetzt? Ein besonderes Momentum: zum ersten Mal berühren sich die Performerinnen untereinander, verschmelzen fast. Und schon wird der Raum zur Manege. Fokussiert tanzt Marojević triumphierend auf imaginären High Heels, springt und fällt zu Boden, um sich durch affirmatives Händehalten mit Zuschauenden für eine neue Diagonale vorzubereiten. Ein kabarettartiges Spiel mit Vorhang, ein Tango mit Wand. Das Publikum genießt, der Performerin beim Überqueren einer Stuhlreihe die Hand zu reichen. Nahezu zyklisch wiederkehrend löst ein Zeitfenster der Slow Motion das Geschehen ab.

Ein Schrei zerreißt die Ruhe. Janet Jacksons „The Pleasure Principle“ setzt ein und Ewa Dziarnowska tanzt ein explosives Solo. Moonwalk-Hommagen werden durch einzelne Schreie aufgerissen. Im intensiven Spannungsfeld zwischen Feel-Good und Schmerz kollabiert die Tänzerin schließlich neben ihrer Partnerin auf dem Boden. Ein neues, geduldvolles Ruhen unter mystischen Klängen beginnt.

„Can I have your chair, please?“

Warmes Flüstern an einzelne Zuschauende, zwei neue Stuhlkreise entstehen. Nähe wird natürliche Initiative. Beide Performerinnen treten im Abendkleid in die Kreise, hinein ins Licht. Weitere Wiederholungen von „What the World Needs Now“ dürfen wir erleben. Gemeinsam mit kraftvollen schwingenden Armen, welche im Lichtspiel nahezu wie Wunderkerzen durch das Dunkel schneiden.

Ein sinnliches Verweilen, ein Spiel mit Intimität, Nähe, tänzerischer Präzision und Freiheit zugleich. Ein unkonventionelles Gebet an die Liebe, das Leben, den Tanz. Ein Geschenk.

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Dieser Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung „DANCE – Schreiben über Tanz“ am Institut für Theaterwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München im Sommersemester 2025 unter der Leitung von Anna Beke.

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