„Across context“
Start des International DANCE Festival 2025 in München
Von Dorothea Pokorny
Atmosphärischer Sound lockt in die alte Fabrikhalle des Muffatwerks. Die Menschen drängen hinein, und die Spannung ist groß. Das französische Kollektiv (LA) HORDE ist mit der performativen Ausstellung „The Master‘s Tools“ zum ersten Mal in München zu Gast. Marine Brutti, Jonathan Debrouwer und Arthur Harel arbeiten seit nun mehr als 10 Jahren zusammen und leiten seit 2019 das Ballet National de Marseille. Ihre vielseitigen Werke vereinen Tanz, Film, bildende Kunst und Performance.
Tomorrow is cancelled
Die transzendierende Darbietung kann im ersten Moment etwas überfordern. Denn kommt man in die große Halle, weiß man erstmal nicht genau, wohin man schauen soll. Es ist ein multimedialer Auftakt des diesjährigen International DANCE Festival München. In der einen Ecke läuft auf einer großen Leinwand der Film „The Master‘s Tools“, gegenüber steht erhöht ein DJ-Pult, vor dem die Tänzer*innen sich mit ihren Jumpstyle Künsten auspowern. Mitten in der riesigen Halle steht eine schwarze Limousine. Der Name der Limousine: THE BEAST ist eine Anspielung auf den Luxusschlitten von Trump, der denselben Namen trägt. Nur dass diese hier zerstört wurde. In gelben Lettern prangt der Anfang der Verfassung der Vereinigten Staaten „WE THE PEOPLE“ auf der Seite. Als Trump 2017 zum ersten Mal das Amt des Präsidenten angenommen hat, haben die Demokraten als Protest das Auto in Brand gesetzt und die Fenster eingeschlagen.
Das Auto ist ein Symbol für Macht und Reichtum. In diesem Zusammenhang stellen die Performer*innen einen skurrilen Contest aus Amerika nach. Dabei sollen Menschen ein Auto küssen. Die Person, die am Längsten durchhält, gewinnt. Dabei nehmen sie die merkwürdigsten Haltungen ein: Ob halb unter dem Auto liegend, rechtwinklig über die Motorhaube beugend oder kopfüber vom Autodach herunterhängend. Alles ist dabei. Und dann halten sie diese manchmal ungemütlich aussehenden Posen minutenlang aus, während sie das Auto küssen. Eine Karikatur der im Jahr 2017 stattfindenden Absurdität, dass man eine Luxuslimousine gewinnen kann, wenn der Kuss nur lang genug währt.
Um diese Installation herum schreiben die Performenden mit Spraydosen den Spruch „Tomorrow is cancelled“, der – sobald sie fertig sind – auch wieder durch eine Putzkolonne ausgelöscht wird. Das stetige Aufbegehren und Niederschmettern von Protesten, wird hier radikal nüchtern aufgezeigt.
Ein einziger Organismus
Während noch alle Zuschauenden gefangen sind in der Betrachtung dieser Performance, geht es in der anderen Hälfte des Raums schon wieder weiter. Hier gibt es eine Tanzeinlage. Die Jump-Styler, die sonst normalerweise in Clubs, allein für sich oder für Videoclips jumpen, sind das Highlight des Abends.
Sie bringen mit ihren Füßen den Boden zum Beben. Spätestens dann hat jeder verstanden, da drüben gibt’s auch noch was zu sehen. In der performativen Version der Choreografie von „To Da Bone“ bewegen sich die Performer*innen im Takt zu den schnellen Beats des Gabber – eine Unterkategorie des Hardcore Techno aus den Niederlanden. Es sind rund 10 Tänzer*innen, wenn sie aber anfangen zu bewegen, wirken wie sie wie ein einziger Organismus. Die Energie und Power, die von ihnen ausgehen, sind hochgradig ansteckend. Als sie sich dann noch gegenseitig verbal anfeuern, wirkt das Ganze wie eine Protestaktion. Ab und an treten ein oder zwei der Bewegungskünstler*innen aus der Gruppe heraus und zeigen ihre ganz eigenen speziellen Moves. Die Bewegungen sind kraftvoll, explosiv, rebellisch. Und immer dann, wenn man denkt, ihnen muss doch die Kraft ausgehen, legen sie noch Eins drauf.
Will man etwas Pause von der energiegeladenen Performance, geht man durch die engen Gänge und eine steile Treppe hinauf in das obere Geschoss. Dort sind zwei Studios versteckt, in dem die 10 bzw. 15-minütigen Filme „Cultes“ und „Novaciéries“ gezeigt werden. Der Erste zeigt Aufnahmen, die während des Festivals entstehen. Er behandelt kritisch die Konsumorientiertheit der modernen Festivals und inwieweit innerhalb dieser Strukturen eine subversive Identität geschaffen werden kann. Der zweite Kurzfilm stellt eine neue Sichtweise auf den Jumpstyle dar. Er wird als „post-internet“ Tanz interpretiert. Als Tanz, der sich über das Posten von kurzen Clips im Internet verbreitet hat und eine neue Art des körperlichen Ausdrucks ist.
Jede dieser Installationen und Performances steht für sich allein und zusammen für Protest, Widerstand und Revolution und zeigt durch das immersive Erlebnis, in wie vielen Formen Protest möglich ist.
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Dieser Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung „DANCE – Schreiben über Tanz“ am Institut für Theaterwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München im Sommersemester 2025 unter der Leitung von Anna Beke.
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