„PHANTASMAGORIA“ von Stephanie Felber. Tanz: Irfan Taufik, João Santiago, Daniela Graça Schankula, Ludger Lamers

Die Durchschaubarkeit von Dunkelheit

Stephanie Felbers „PHANTASMAGORIA“ in München

Die Tanz- & Klangperformance untersucht spielerisch das Phänomen des Wahrnehmens bei Nacht. Kein unkompliziertes Experiment, aber es gelingt.

München, 12/04/2024

Auf zur Geisterstunde! Wie radioaktiv schillert ein Gesicht grünlich – in Seitenlage und scheinbar körperlos –im Schein einer davor auf den Boden gedrückten Taschenlampe. Seelenruhig rutschen Kinn und Augen an der weißen Bodenmarkierungslinie entlang. Ringsum herrscht Dunkelheit und Stille. „Phantasmagoria“ von Stephanie Felber ist eine wundersame und akustisch eigentümliche Produktion – allein schon deshalb, weil die Münchner Choreografin in ihrer jüngsten „Tanz- & Klangperformance“ Licht nur äußerst spärlich einsetzt. Sogar die sonst stets auffällig schimmernden Fluchtwegshinweise sind dank Sondergenehmigung bei der Uraufführung am 5. April im schwere reiter abgeklebt. Damit Felbers Konzept nahezu totaler Dunkelheit aufgeht, wird die Sicherheit während der Aufführungen stattdessen durch menschliches Personal gewährleistet.

Zu sehen gibt es in „Phantasmagoria“ auf den ersten Blick wenig. Dafür sirrt, surrt oder rumort es bald um einen herum. Manche hören leise saugende Geräusche hinter sich. Unverständlich hingegen bleibt, was eine Stimme weiter weg laut hinein ins Dunkel spricht. Regelrecht unsichtbar und nahezu unbemerkt haben Felbers vier Performer*innen den Raum betreten. Dass man ihr Näherkommen – insbesondere zu Beginn – eher spürt bzw. erlauscht denn optisch wahrnimmt, macht den Charme eines Projekts aus, bei dem sich das Zu- und Umeinander von Akteur*innen und Zuschauer*innen langsam intensiviert und beständig verändert. 

Ludger Lamers, Daniela Graça Schankula, João Santiago und Irfan Taufik bewegen sich verblüffend trittsicher durch das nächtliche Schwarz. Immer wieder tragen sie kleine Lautsprecher/Laternen vor sich her. Ihre Kleidung ist laut Programmzettel mit Sensoren und Mikrofonen bestückt. Die Interpreten der zwar lichtarmen, aber nicht farblosen Darbietung fungieren damit zugleich wie mobile Soundträger. Hie und da lassen sie kurz eine der Taschenlampen aufblitzen. Dann tauchen die Tänzer*innen wieder ab und zeigen sich an anderer Stelle erneut. Fast in der Mitte findet sich ein Paar für eine längere Sequenz zusammen: einIn-der-Umarmung-Verharren. Anderswo rollen drei Körper im Knäuel über den Boden. Verpackt in ihre schwarzen Anoraks mit Kapuzen und wintertauglich-dicken Hosen verklumpen ihre Körper im Schummerlicht wie Felsformationen in einer Landschaft. 

Im Einzelnen mag das choreografisch unspektakulär wirken. Doch insgesamt stellt sich mit der Zeit und imZug wohldosierter Wechsel zwischen Stille und Klangfülle, zwischen blindmachender Dunkelheit und bildhaften Momenten bei immer wieder changierenden Lichteffekten eine atmosphärisch schöne und zugleich rätselhafte Stimmung ein. Urplötzlich hat man Arme und Beine greifbar nahe vor sich. Vor einem floaten von einem Augenblick zum anderen ganze Gestalten oder es wiegen sich bloß Hände wie Halme im trüben Wasser. Doch Felber belässt es nicht bei diesem fast zeitlupenhaft behutsamen Agieren. 

Aus dem Flüstern wird irgendwann ein dichteres Sprachgewirr und schließlich – verstärkt durch die 12 an Decke und Wänden platzierten Lautsprecher – ein regelrechter Choral. Stimmen und Tonschwingungen überlagern sich. Eine imposante akustische Wolke legt sich um das Publikum. Über die Wände tänzeln Lichtkringel und Regenbogenfarben. Man könnte meinen, man säße in einem Aquarium – so scheps ist der Sound, so verschwommen-verzogen das Sehvermögen. 

Felber und ihr Team stellen die Wahrnehmung auf den Kopf. Sie wollen aufrütteln und die Sinne wachkitzeln. Es geht ganz klar ums Hören, Sehen und Spüren. Als die Tänzer in unterschiedliche Richtungen zu rennen beginnen, kommt sogleich Wind auf. Die schnellen Bewegungsmuster erzeugen eine Art kalter Strömung, der sich die über die Bühnenfläche verteilten Zuschauer*innen kaum entziehen können. Zum Ende hin türmen sich die vier Interpreten im Stroboskoplicht zu einem massigen Gebilde auf. Vereinzelt ragen Arme hervor. Die Dynamik eines fein ausgeklügelten Dreiklangs aus Licht, Klang und Performern hat ihren kurzen höchsten Punkt an Intensität erreicht. Wenig später schreiten zwei Tänzer im Huckepack diagonal durch den Saal ab. Ihre Kollegin bleibt wie ausgespuckt an die Wand geklatscht zurück. 

Zu Beginn haben Lichtkegel schwach den nüchternen Raum beleuchtet, in dem das Publikum auf Hockern Platznimmt – jede*r für sich, mit Abstand zu allen anderen. Nolens volens wird man selbst zum integralen Bestandteil des in 360-Grad-Perspektive angelegten Stücks. Getriggert von den Performer*innen lässt es sich individuell aktivvom eigenen Sitz aus mitverfolgen. Zwei weiße, sich mittig kreuzende Klebebänder dienen der Orientierung. Sie leuchten im Stockfinsteren, während die Bühne zum Erlebnisraum wird, zuerst ein zartes Hauchen vernehmbar wird und man Körper über den Boden schleifen hört. Mit der Zeit schärfen sich die Sinne. Die Tänzer*innen findet man unter anderem dort, wo die hellen Linien unterbrochen sind. Felbers subtiles Spiel des Wahrnehmens, Lauschens, Assoziierens und Entdeckens will verführen. In seiner Einfachheit gewiss kein unkompliziertes Experiment, aber es gelingt.

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