So stirbt eine Primaballerina
Ein Nachruf auf Ludmilla Naranda
Nijinskys „Jeux“ (Spiele) zu Musik von Debussy, 1913 in Paris uraufgeführt von Diaghilews Ballets Russes, war, eingebettet in ein Intermezzo amoroso, ein frühes sportliches Ballett um einen Tennisball. Ein „Fußball-ett“, wie es das Münchner Gärtnerplatztheater jetzt wagte, wäre damals noch nicht vorstellbar gewesen. Immerhin: gemeinsam sind Ballett und Fußballspiel die Kopf-Disziplin, die extreme körperliche Anstrengung, der Showeffekt und der Wille zum Ruhm. Und nicht zuletzt pflegt das Gärtnerplatz-Tanzensemble den zeitgenössischen Tanz, der mit seinen völlig freien, meist ausgesprochen athletischen und erlaubt brutalen Bewegungen schon rein optisch dem Rasensport recht nahe kommt. Genau deswegen funktioniert auch der von drei Gastchoreografen gestaltete neue Abend „Hattrick“ – betitelt nach dem Coup des „Drei-Tore-Schießens“. Das untheatrale Off-Quartier Reithalle lieferte Stadion-Atmosphäre frei Haus.
Der Norweger Jo Strømgren, der immer auch als Theatermann choreografiert (er schreibt selbst Stücke und inszeniert), packt das Thema mit seinem „A Dance Tribute to the Art of Football“ (von 1997, für München überarbeitet) inhaltlich und dabei gesellschaftskritisch an. In die von rockigen und Techno-Rhythmen angetriebene wilde zeitgenössische Gruppen-Tanzakrobatik – dies auch eine Metapher für die extreme physische Selbstausbeutung in Tanz und Ballsport – mischt sich immer wieder ganz Konkretes aus dem Kicker-Universum: die sieghaften Luftsprünge und Team-Ringelreihen der Spieler, die gewalttätigen Fouls, das Hinstürzen, die wutverzerrten Gesichter und das Herumpöbeln. Hier profilieren sich in der neuzeitlichen Kampfarena unsere Sport-Gladiatoren, die, wenn auch ungewollt, Testosteron-gestresste Fans zu grölenden Hooligans heranzüchten. Und Stromgrens ironischer Blick hinter die virile Heroen-Fassade zeigt die Typen mit den durchtrainierten Götterkörpern in ihren sentimentalen und homoerotischen Neigungen und bei narzißtischer Bodypflege unter der Dusche. Das etwas zu lange, aber gekonnt abbildende Stück ist sicher ein guter Tanz-Türöffner für ein breites Publikum.
Interessant die ganz anderen Ansatzpunkte von Stuttgarts Hauschoreograf Marco Goecke und dem künftigen Forsythe-Company-Chef Jacopo Godani. Goeckes Solo „Cry Boy“ (zu Popmusik von The Cure) ist ein Eintauchen in die seelische Verfasstheit eines Sportlers oder Tänzers. Und sein Interpret Javier Ubell, die Kämpfe zwischen Sehnsüchten und Ängsten aus jedem einzelnen Muskel herauspeitschend, wird zu einem faszinierend über die Bühne flatternd-zuckenden Traumtanzwesen.
Ganz Forsythe-gemäß konzentrierte sich Godani in seinem „Versus Standard“ auf den strukturellen Aspekt. So erscheinen die sich unentwegt verändernden räumlichen Figurationen der sechs Tänzer wie ein Echo auf die Spielzug-Taktik. Und im Sog dieser von harten Rhythmen und Klanginseln umhallten Choreografie, gleichsam ein Perpetuum mobile hochartifizieller weich und dennoch kraftvoll durch die Körper rollenden Bewegungen, schafft sich da eine spannungsgeladene Energie, wie sie dem Fußballmatch nicht unähnlich ist. In enger Zusammenarbeit mit den Münchner Komponisten Siegfried Rössert und Ulrich Müller von 48nord ist Godani ein Stück wie aus einem Guss gelungen. Getanzt wurde, wie immer von diesem Ensemble, phänomenal gut.
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