So stirbt eine Primaballerina
Ein Nachruf auf Ludmilla Naranda
Der Postpalast aus den 20er Jahren – was für eine großartige Spielstätte für zeitgenössische Tanz-Events! Das Münchner Gärtnerplatztheater, wegen Sanierung immer noch auf Ausweichquartiere angewiesen, ist eben findig. Und was in dieser schlicht-schönen Rundhalle, der ehemaligen Verteilerhalle, von 52 Metern Durchmesser mit ihrer verglasten Kegelstumpf-Krone an vier Wochenenden als „Minutemade“ – heißt: schnell gefertigt – präsentiert wird, könnte sogar Zuschauer begeistern, die vor einem schweren Ballettabend zurückscheuen.
Jedenfalls ist der gerade gesehene Akt I ein leichter bunter Fleckerlteppich: sicher nicht ganz perfekt, aber herrlich schräg in seinen Tanztheaterbildern und in der zeitgenössisch freien Bewegung durchaus von Qualität. Die Vorgabe von nur einer Woche Probenzeit verspricht den fünf Choreografen Kulanz des Publikums. Befreit vom großen Premieren-Druck, lässt Tanzchef Karl Alfred Schreiner sein Talent fürs Komische so richtig von der Leine. Hallo, wo sind wir? - stutzt man beim klassischen Pas de deux aus John Crankos „Onegin“. Aber schon attackiert eine Terror-Miliz in Tarnanzügen diese Ikone des 60er-Jahre-Balletts und liefert sich mit ballernden Kalaschnikows Nahkampf zwischen den herumgefahrenen, dicht behängten Kleiderstangen, dem „Minutemade“-Spar-Dekor.
Auf einer großen Leinwand im Hintergrund jetzt der Clou: vier Männer des Ensembles hinreißend als die US-TV-„Golden Girls“ auf einem roten Sofa, singend, tanzend, quatschend und sich durch die Splatter-Movies zappend, die vorne live spielen. Zombies werden da auf Herz, Blut und Schmerzempfindlichkeit getestet und zerschnitzelt. Roter Saft spritzt üppig. Aber gleich schon wiederauferstanden, schleudern sie in poppigem Rhythmus ihre untot-schlapprigen Glieder in einem makabren Gruppentanz. Damit noch nicht genug der soapigen Parodien. Getragen von Kollegenhänden fliegt Bat- oder Spiderman über die Tanzfläche und schmuseschmalzt und räkelt sich, eingewickelt in einen roten Teppich, Concita Wurst. Überdimensioniert lang ist sie, weil die rausschauenden Beine einem zweiten Tänzer gehören. Total verrückt.
Eine weitere Vorgabe ist, dass der zweite „Minutemade“-Macher des Abends assoziativ an die vorausgehende Choreografie anknüpft. Der Übergang ist nicht so genau auszumachen. Aber wenn die Bewegung forsythisch neoklassisch-postmodern wird, dann sind wir in diesem Akt I garantiert bei Christopher Roman angekommen, einem langjährigen Forsythe-Tänzer und -Assistenten. Und wie sein Mentor Forsythe hinterfragt Roman süffisant Form und Tradition. „Ist der Choreograf bekannt?“ und „Was bedeutet das alles eigentlich?“, naiv wissbegierig eine fürstliche Dame aus barock-steifer Vergangenheit auf rollendem Kothurn. Worauf ihr „Diener“ Alessio Attanasio in italienischem Wortschwall Klassik, Moderne und Postmoderne erklärt.
„Minutemade“ ist eine finanziell sparsame, weil stark auf vorhandenes choreografisches Handwerk und Improvisation setzende Reihe - die aber gerade dadurch viel kreativen Freiraum schafft. Wer hätte vermutet, dass das Gärtnerplatz-Tanzensemble eine so prächtige Bande von Erzkomödianten ist.
die weiteren Termine, jeweils 21 Uhr:
31. Mai Christopher Roman | Marco Goecke, Tonhalle, Grafingerstraße 6
7. Juni Marco Goecke | Alexander Ekman, Postpalast, Wredestraße 10
14. Juni Ekman | Antony Rizzi, Postpalast, Wredestraße 10
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