„Adam is“ von Aszure Barton: Ensemble

„Adam is“ von Aszure Barton: Ensemble

Euphorischer Jubel im Münchner Nationaltheater

Choreografien von George Balanchine, Jerome Robbins und Aszure Barton

In der letzten Amtsperiode sind Theater- und Ensembleleiter nicht anders als Politiker: sie wollen sich in die Geschichte einschreiben. Das ist Staatsballettchef Ivan Liska bis jetzt gelungen.

München, 22/12/2015

Euphorischer Jubel im Münchner Nationaltheater für das Zweigestirn der Neoklassik George Balanchine und Jerome Robbins und die Kanadierin Aszure Barton, erst 40, aber schon ein internationaler Choreografie-Star. In der letzten Amtsperiode, beziehungsweise Abschiedsphase, sind Theater- und Ensembleleiter nicht anders als Politiker: sie wollen sich, und das ja auch ganz legitim, in die Geschichte einschreiben. Das ist Staatsballettchef Ivan Liska bis jetzt gelungen mit der Wiederaufnahme seiner exzellenten Fassung von Petipas „Corsaire“ im Oktober und nun mit der ersten Premiere seiner letzten Saison, Sinnenfest und zugleich Beweis, dass sein Ensemble Tanzgeschichte lebt. Balanchines „Sinfonie in C“ (von 1947, im Münchner Repertoire seit 1975/1991), Robbins' „In the Night“ (von 1970, hier übernommen 2001) und Bartons Uraufführung „Adam is“ schlagen den Bogen vom Neoklassischen bis zu seiner weiteren Entfaltung und schließlich kreativen Auflösung in eine völlig freie Tanzsprache, wie sie Barton hier vorführt.

Ihr 2014 hier kreiertes „Konzert für Violine und Orchester“ war noch neoklassisch, überdies rein abstrakt gehalten. Dieses neue Stück „nur für Männer“ – das war Liskas Vorgabe – ist zwar auch kein Handlungsballett. Aber ein bisschen etwas wird doch erzählt, was frau, sprich Barton, im Manne entdeckt. „Adam ist“ (ein für Assoziationen weit offener Titel) eben nicht einfach, sondern in sich gegensätzlich, komplex. Dies wird schon angedeutet im identischen Styling der neun Tänzer: glatt zurückgegelter 20er-Jahre-Haarschnitt, Leopard-gefleckter sommerlicher Zweiteiler wie aus Joops neuester Kollektion, darüber die mitflatternden Schöße des Herrenrocks aus dem 19. Jahrhunderts (Kostüme: Michelle Junk), der auch mehrmals abgestreift wird.

Ja, Adam ist ein narzisstisches, sehr wohl modisch bewusstes Wesen, zugleich immer noch wilde Natur, animalische Kraft: hier im Sprung geschmeidig gespannt wie Raubkatzen, in der zupackenden Geste gefährlich schnell wie Echsen. Barton schöpft, wie sie selbst in Interviews immer wieder sagt, aus der Individualität der Tänzer, deren körperlicher Flexibilität und Technik. Eine Pirouette, die in einer zu Boden schlitternden Figur endet – kein Problem. Und Barton verlangt das. Sie ist sichtbar eine Meisterin im Kombinieren, im Ineinanderblenden verschiedener Tanzgattungen zu einem eigenen eleganten und zugleich gebrochen-roh wirkenden Stil – hinter dem man in Blitzmomenten gerade noch Ballettklassik, Capoeira und Eingeborenen-Tänze erahnen kann. Die neun Staatsballettler haben sich da regelrecht hineingehäutet.

Diese Bewegungsvirtuosität bliebe jedoch Gymnastik ohne Bartons künstlerische Vision: Sie hat ein poetisch-szenisches Gespür, das alles Allzu-Schöne, alles Eindeutige, Plakative vermeidet. Als Prolog wandert Gezweig und Bätterwerk über einen Bühnen-füllenden Screen (Videos: Tobin del Core). Ein Wald? Erwartet uns ein Märchen? Dann hallt dumpfes Klavier in den Raum, trockene Percussion, später verzerrte grunz-brüllende Tier-Mensch-Laute (Auftragskomposition, vom Tonträger: Curtis Robert Macdonald). Und neun Adams in wechselnden Formationen jagen über die dämmrig verschattete Bühne (Burke Brown, auch Licht), in deren Hintergrund ein über sechs Meter hoher Teddybär thront.

Bartons Bilder, schillernd zwischen Traum und Realität, haben etwas vom magischen Realismus der Malerei. Vor dem pelzigen Giganten, Symbol für das Kind auch noch im Manne, für seinen ewigen Spieltrieb gebiert sich ein Adam selbst mit ruckenden Gliedern – bildlich gesprochen – aus seiner unbewussten „Lehmform“ in frei beweglichen Tanz. Als synchrone Gruppe vollziehen die neun, mit beiden Füßen vom Boden zu breitbeinigen Sprüngen abfedernd oder sich rhythmisch auf die Schenkel klatschend, ihre Stammes-Rituale.

Üben immer wieder Kräftemessen im kontaktnahen Zweikampf – der sich am Ende mit Hebungen und stützenden Griffen zu einem echten Pas de deux steigert. In der Schlussposition am Boden lehnt sich Jonah Cook in zart friedfertiger Geste eng an Matej Urban an. Es bleibt offen, und das ist gut, ob sich hier ein Macho dem anderen ergeben hat oder ob sich zwei Liebende gefunden haben. Letztlich kann man „Adam is“ als metaphorische Reise deuten: von der Kindheit ins Erwachsenenleben, von der traditionellen Mann-Frau- zu jeder Art von Liebesbeziehung. Den Anfang dazu machte in den 60er Jahren Maurice Béjart mit einem damals noch revolutionären Männer-Pas-de-deux.

Ewigkeitswert hat Bartons Stück wohl nicht – was unserer schnelllebigen Hightech-Ära vielleicht auch gar nicht mehr angemessen ist. Für die Klassiker muss man ein, zwei Generationen zurück: Robbins' „In the Night“, 1970 von Balanchines New York City Ballet uraufgeführt, zeigt drei Paare in ihren Gefühlszuständen zwischen sanfter Liebe, drohender Trennung und überwundenem Zweifel. Es sind wunderschön in Chopin-Nocturnen (exzellent am Piano Maria Babanina) hineinschmelzende Pas de deux, aristokratisch in der Allüre, gut getanzt, dramatisch unter die Haut gehend vor allem von Lucia Lacarra und Cyril Pierre.

Balanchines legendäres Werk zu Bizets Symphonie in C-Dur (hier am Pult Michael Schmidtsdorff) wurde 1947 vom Ballett der Pariser Oper unter dem Titel „Palais de cristal“ uraufgeführt. Und diese Choreografie ist tatsächlich so etwas wie eine in vielen Facetten schimmernde kristallene Architektur. Das Corps de ballet, längst nicht mehr Staffage, sondern wertvoll mit dichtem Schrittmaterial, umrankt die Solisten als zusätzliche „Tanzstimme“. Von Balanchine-Exballerina Colleen Neary einstudiert, tanzt das Ensemble blitzsauber. Ein Extralob für die Männer in Bestform!

Pünktlich zu dieser Premiere kam auch der gewichtige Band „Aus Leidenschaft“ (transcript Verlag, Bielefeld, 29,99 Euro) heraus, der auf 296 Seiten in prächtigen Fotos von Wilfried Hösl, Charles Tandy u. a., begleitet von historisch nachzeichnenden Texten, „25 Jahre Bayerisches Staatsballett“ sinnlich in Erinnerung ruft.

weitere Vorstellungen: 28.12., 19 Uhr 30; 29.1. 2016, 20 Uhr.

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