Auf dem Weg in neue Höhen
Die Heinz-Bosl-Stiftung mit ihren Herbstmatinéen im Nationaltheater
„Vorhang auf – aus Leidenschaft!“ – besser konnte das Bayerische Staatsballett nicht für seine beginnende Saison werben als mit dieser Matinee irgendwo zwischen seiner pädagogischen „Ballett Extra“-Reihe und einem Gala-ähnlichen Event. Das Publikum strömte denn auch neugierig ins Münchner Prinzregententheater, um vorzuschnuppern, was es sich demnächst im Münchner Nationaltheater ansehen möchte. Und das könnte heuer mächtig viel sein, denn Ivan Liška will in seiner letzten Spielzeit als Staatsballettchef so gut wie alle Schätze seines Repertoires, zwischen Tradition und zeitgenössischem Aufbruch, funkeln lassen.
Vorab gab Ballettmeister Thomas Mayr ein effizient aufwärmendes Stangen-Exercice, das Gelegenheit bot, gebogenen Fußspann, hohe Beine und elegant geführte Arme en detail zu beobachten. Die Truppe sieht gut trainiert aus. Den Reigen der Ballett-Ausschnitte –zum Teil begleitet von den Pianisten Maria Babanina und Simon Murray – eröffnete ein Pas de deux aus dem Erstlingserfolg „Jardí Tancat“ (1983) des aktuellen Staatsballett-Berlin-Chefs Nacho Duato. In seinem fließenden fein phrasierten Modern-Dance-Stil fühlen sich Isidora Markovic und Marten Baum von der Junior Company sichtlich zuhause.
Es folgten Nummern aus den Petipa-Klassikern „Le Corsaire“, „La Bayadère“ und dem von Alexei Ratmansky rekonstruierten „Paquita“. Das neoklassische Handlungsballett ist diese Spielzeit vertreten durch John Crankos „Onegin“, John Neumeiers „Kameliendame“ und sein „Illusionen wie Schwanensee“; die abstrakte und semi-erzählerische Neoklassik durch George Balanchines „Sinfonie in C“, Leonide Massines „Choreartium“, Jerome Robbins' „In the Night“ und Frederick Ashtons „Birthday Offering“ zu Alexander Glasunows „Ruses d' Amour“. Der daraus getanzte Pas de deux ist auch am 19. Oktober in einer Gala im Münchner Gasteig/Carl-Orff-Saal zum 150. Geburtstag des Komponisten zu sehen; die vollständige Choreographie dann in der BallettFestwochen-Terpsichore-Gala (7. April 2016). Die, so versprochen, soll als Widmung an den scheidenden Ballettchef viele besondere Gala-Bonbons offerieren.
Ivan Liška, urlaubs-erholt, erwies sich als entspannter Moderator. Mit historischen Einordnungen assistierten ihm seine Stellvertreter Wolfgang Oberender und Bettina Wagner-Bergelt, die unter anderem auf Premieren verwies, von denen noch keine Kostprobe zur Verfügung stand. So bekommt das Staatsballett mit „Für die Kinder von gestern, heute und morgen“ (2002) als erstes deutsches Ensemble ein Werk der Tanztheater-Legende Pina Bausch. In der Kreation „The Passenger“ rückt Choreograf Simone Sandroni das gerade hochaktuelle Thema ‚ältere Tänzer‘ in den Mittelpunkt. Seine Protagonisten sind Ballettchef Ivan Liška höchst persönlich, Ex-Solistin und Ballettmeisterin Judith Turos und Charakterdarsteller Peter Jolesch. Beide Werke feiern in der Ballettwoche (3. bis 19. April 2016) Premiere.
Insgesamt also eine Schwergewichtssaison. Dass manches noch im Probenstadium war, darf sein – lehrt einen zudem, in der eigentlichen Vorstellung die Entwicklung, den Feinschliff zu erkennen. Bei dreizehn (!) Nummern die Tänzer zu würdigen, ist unmöglich. Stellvertretend genannt seien: Adam Zvonař, der zuverlässig-strahlend drei Partien absolvierte; Ekaterina Petina, ein kühl abstrahierendes, perfektes Körper-Instrument für Richard Siegals faszinierendes „In a Landscape“, in dem er die postmoderne Neoklassik seines Mentors William Forsythe in exotisch bizarre Formen weitergetrieben hat. Katherina Markowskaya, bisher vor allem als Brio-Technikerin aufgefallen, begibt sich mit dem Solo aus Mary Wigmans „Le Sacre du Printemps“ von 1957 (rekonstruiert dank dem „Tanzland Deutschland“-Projekt) mit voll eingesetzter, scharf konturierter Körperlichkeit auf das diffizile Terrain des uns schon etwas fremden Ausdruckstanzes.
Die Französin Séverine Ferrolier, nach sieben Jahren in Uwe Scholzens Leipziger Ballett 2004 nach München gewechselt, schätzt man schon lange als lyrische Tänzerin mit außergewöhnlich musikalisch fließenden Armen. Jetzt jedoch, in ihrem Solo aus Leonide Massines frühem neoklassischem „Choreartium“ (1933), hebt sie ab auf eine andere Ebene, wo die Kunst des Tanzens beginnt. Dafür allein hat sich dieser zweieinhalbstündige pausenlose Vormittag gelohnt. Dennoch: Das nächste Mal bitte doch eine kleine Pause!
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