Konstanze-Vernon-Preis für Elisabeth Tonev
Tanzpreis der Heinz-Bosl-Stiftung 2024
Die beiden Herbst-Matineen der Heinz-Bosl-Stiftung zünden mit einem exzellent einstudierten Programm
Ashton-Rarität
Gleich zu Beginn warten die Bachelorklassen 2 und 3 der Ballett-Akademie der Münchner Hochschule für Musik und Theater mit einer Ashton-Trouvaille auf, die hierzulande zu den absoluten Raritäten zählt. Hier wird nicht nur mit wunderschönen Kostümen ein farbenfrohes Freiluft-Divertissement der viktorianischen Zeit heraufbeschworen, sondern das Publikum sonntags um elf per Atmosphäre träumerisch-sanft direkt in den näher rückenden Winter entführt.
Schon die wie auf Kufen dahingleitenden ersten acht Tänzerinnen und Tänzer geben sich so akkurat wie nonchalant dem Vergnügen sorglos eingehakter Eislaufpaare hin, dass man das Wichtigste fast vergessen könnte: Die Frederick Ashton Foundation kooperiert da mit einem Ausbildungsinstitut! Ashtons ureigener Stil und seine originellen Schrittkombinationen mussten an Repertoire-Anfänger vermittelt werden. Nichtsdestoweniger ist Helen Crawford eine darstellerisch ungemein charakterstarke Einstudierung gelungen. Chapeau!
Zwei rotgewandete Mädchen, die unisono auf ihren Spitzen über die Bühne staksen, sorgen für Lacher. Einfach bezaubernd gibt sich das elegante Paar in Weiß. Und der wie ein Kristall hellblau leuchtende Beau kapriziert sich mit avancierten Figuren innerhalb der illustren Runde am liebsten allein. Uraufgeführt wurde Frederick Ashtons entzückender Ballett-Einakter „Les Patineurs“ 1937 in London zu Musik aus Opern von Giacomo Meyerbeer in einem Arrangement von Constant Lambert. Dieses hat nun Mark Pogolski, musikalischer Leiter des sich aus Studierenden der Hochschule für Musik und Theater zusammensetzenden VOLTA-Ensembles, für die muntere orchestrale Live-Begleitung adaptiert. Beachtlich routiniert finden alle Mitwirkenden zusammen. Das Stolpern, jeder absichtlich im Rollenprofil auf der Bühne vollführte Sturz verschmilzt mit dem dazu vorgesehen Ton.
Absprungbereit
Das gemeinsam von der Münchner Ballett-Akademie unter Leitung von Jan Broeckx und dem künstlerisch von Ivan Liška geführten Bayerischen Junior Ballett München (BJBM) im Nationaltheater am 9. und nochmals am 16. November 2025 präsentierte Programm hat bühnenreife Extra-Klasse mit hoher Gastspieltauglichkeit – auch interpretatorisch. Und das nicht bloß in dem lange nicht mehr gezeigten Gala-Konfekt-Stück „Intuition Blast“ von Ralf Jaroschinski: einer witzigen „Schwanensee“-Pas-de-deux-Nummer für zwei Männer, die leger in Hemd und Hose mit Krawatte gekleidet sind, zu Tschaikowskys legendärer Ballettkomposition. Gewürzt mit herausforderndem Schrittvokabular und quasi klassischen Battle-Elementen. Das Duo der Stunde sind Joe Bratko-Dickson und Mark Sims: zwei charmante, offensichtlich absprungbereite junge Tänzer, die seit 2023 respektive 2024 Mitglieder des BJBM sind.
Zu ihrem Jahrgang gehört auch Stipendiatin Elzė Sadauskaitė. Sie ist eine der beiden Tänzerinnen – in bequemen Klamotten ganz jazzig tanzfidel aufgelegt – im folgenden Beitrag. „The New 45“ von Richard Siegal kommt als fetzig-grooviges Stück für zwei Paare daher, das seinen festen Platz im stetig wachsenden Stückfundus der Nachwuchstruppe hat. Zuletzt gezeigt wurde es im Mai bei der zweiten Frühjahrsmatinee – und da anlässlich des 15-jährigen Jubiläums des BJBM in voller Länge unschlagbar gut allein interpretiert von den beiden Ehemaligen Nicholas Losada (Tanztheater Wuppertal) und Nicha Rodboon (Ballet Vlaanderen Antwerpen).
Was für ein Gewinn auch für Benedetto Fenni (Sadauskaitės Partner), Apolline Hartz und Guillermo González Maroto – die drei neuen Volontäre seit dieser Saison –, dass Nicha Rodboon daraufhin erneut nach München zurückgekehrt ist, um Siegals launig-temperamentvolle Choreografie aus erfahrener erster Hand an Jüngere weiterzugeben. Die unbeschwerte Leichtigkeit des 2008 für das Internationale Tanzfestival in Athen kreierte Stück auf Musik alter Jazzplatten mit 45 Umdrehungen pro Minute verlangt den Interpreten intuitive Musikalität und hohe Körperbeherrschung ab. Alles Qualitäten, die „The New 45“ zu einem Publikumsliebling machen, selbst wenn bei debütierenden Protagonisten selbstredend noch manche Luft nach oben bleibt – ja im Sinne einer konsequenten Entwicklung bleiben muss, wie aus dem im Programmbuch veröffentlichten Interview mit Rodboon zu erfahren ist.
Ensemblestarke Leistung
Dass sich „The New 45“ als humorvoll-heiteres Gegengewicht ohne Licht-Wort-Design-Schnickschnack auch gut in der Auftaktpremiere „Noise – Signal – Silence“ des neuen Nürnberger Ballettchefs Richard Siegal gemacht hätte, steht auf einem anderen Blatt. Den jungen Tänzerinnen und Tänzern scheint die Choreografie jenseits akademischer Figuren und geschliffen sauberer Positionen oder Hebungen auf jeden Fall bestens zu behagen. Diese Facette zeitgenössischer Ballettkunst präsentiert das BJBM-Oktett aus vier Frauen (Vera Cortell, Hanxi Wang, Tahlia Szumowski, Rose Perrot) und vier Männern (Axel Mero, Joe Bratko-Dickson, Benedetto Fenni, Mark Sims) zum Schluss ebenfalls in Jorma Elos „Slice to Sharp“. Man kann nur den Hut ziehen vor einer solchen solistischen wie auch ensemblestarken Leistung.
Das energiegeladene, ursprünglich vor bald 20 Jahren für Solisten des New York City Ballet entstandene Werk brachte dem Finnen Jorma Elo 2010 den renommierten Prix Benois de la Danse für die beste Choreografie ein. Pure schnörkellose Konzentration auf den Tanz werden mit der messerscharfen Brillanz technischer Raffinesse und körperlicher Geschmeidigkeit kombiniert. Dazu erklingt Barockmusik von Heinrich Ignaz Franz Biber und Antonio Vivaldi. Gewiss werden die von Nancy Euverink bis in die Finger- und Zehenspitzen perfekt einstudierten Tänzerinnen und Tänzer des BJBM damit überall punkten.
Wie schnell sich einzelne talentierte BJBM-Absolventen ins solistische Rampenlicht vorarbeiten können, hat Soren Sakadales glänzend unter Beweis gestellt. Erst seit vergangener Spielzeit fest im Profilager des Bayerischen Staatsballetts wurde er im Anschluss an sein Drosselmeier-Debüt Anfang November in John Neumeiers „Der Nussknacker“ zum Demi-Solisten befördert. Einen Mangel an talentierten wie ambitionierten Newcomern gibt es offenbar nicht. Zum Saisonstart ist eine größtenteils neue Riege von Stipendiaten und Volontären im BJBM angetreten, die jenseits ihrer Aufgaben im Münchner Repertoirebetrieb Tourneevorstellungen als kleine unabhängige Truppe zu bestreiten haben – im Gepäck u.a. die drei für diese Herbst-Bosl-Matinee neu erarbeiteten Stücke.
Heinz-Bosl-Preis 2025
Fehlen wird Simon Adamson-De Luca. Der gebürtige Kanadier kehrt in seine Heimat zurück. Zu seiner großen Freunde wurde er von den Grands Ballets Canadiens in Montréal engagiert, nachdem er von 2023 an als Stipendiat der Heinz-Bosl-Stiftung Mitglied des BJBM war. Doch allein beim Tanzen beließ es der junge Mann aus Toronto nicht. Bereits für die Herbstmatinee 2024 hatte er das Stück „Return to Innocence“ choreografiert – inspiriert durch eigene Lebenserfahrungen, insbesondere den Verlust eines geliebten Menschen. Mit seinen damals 19 Jahren gelang ihm im Auftrag von BJBM-Chef Ivan Liška ein zwar durchweg melancholischer, aber als Ensemblestudie eindrücklicher erster professioneller choreografischer Aufschlag – mit einem zwischen Sehnsucht und innerer Zerrissenheit oszillierenden zentralen Paar.
Am 16. November wurde Adamson-De Luca für die in dieser Arbeit erkennbare „klare künstlerische Vision, emotionale Tiefe und eigene choreografische Handschrift“ mit dem mit 5.000 Euro dotierten Heinz-Bosl-Preis ausgezeichnet und auf der Bühne von der Jury-Trias Ivan Liška (Vorstandsvorsitzender der Heinz-Bosl-Stiftung, Künstlerischer Leiter des Bayerischen Junior Ballett München), Norbert Graf (Ballettmeister des Bayerischen Staatsballetts, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Heinz-Bosl-Stiftung) und Olivier Vercoutère (Trainings- & Probenleitung des Bayerischen Junior Ballett München, Professor an der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater München) in eine hoffnungsvolle Zukunft als Tänzer und vielversprechender Choreograf der nächsten Generation verabschiedet. Das Publikum an diesem Sonntag bekam zudem noch einen Kern-Ausschnitt aus „Return to Innocence“ mit zwei Tänzern und einer Tänzerin zu sehen.
Es in kompletter Länge einzubauen – was zeitlich schon aufgrund der Probendichte vor der Staatsballett-„Nussknacker“-Wiederaufnahme im Münchner Nationaltheater unmöglich gewesen wäre –, hätte sowieso den zeitlichen Bogen einer mit vielen Kindern besetzten Matinee gesprengt. Undenkbar, stattdessen Hans van Manens „Unisono“ – Paradestück für jede Ballettakademie – wegzulassen. Nach der letzten Pause folgte dieses Stück, das in formaler Schönheit alle Eleven-Stufen der Ballett-Akademie von der Vorstufe bis zur Bachelorklasse 1 in schlichter motorischer Konzentration auf der Bühne in ihrem Streben nach künstlerischer Vollendung vereint. Hoffentlich in Demut vor den bevorstehenden Herausforderungen.
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