Auf dem Weg in neue Höhen
Die Heinz-Bosl-Stiftung mit ihren Herbstmatinéen im Nationaltheater
Noch nie war die Zeitspanne zwischen zwei Bosl-Matineen so groß. Die diesjährige Herbst-Ausgabe wird erst am 1. Advent wiederholt. Besondere Erwähnung verdient das, weil sich eine reife neue Riege aus Volontär*innen des Bayerischen Staatsballetts und Stipendiat*innen der von Konstanze Vernon vor 45 Jahren gegründeten Heinz-Bosl-Stiftung dort glänzend vorgestellt hat. Als Ganzes bilden diese hoffnungsvollen jungen Tänzerinnen und Tänzer das Bayerische Junior Ballett München. Auf der großen Nationaltheaterbühne durften sie bereits in den abendfüllenden Balletten„Cinderella“ und „Alice im Wunderland“ mitwirken. Nun aber liegt in drei von insgesamt sechs präsentierten Stücken der Fokus allein auf ihrer tänzerischen Ausdrucksfähigkeit.
Mit eigenem Repertoire werden sie in den kommenden zwei Jahren gemeinsam auf Tourneen gehen, nachdem die Generation vor ihnen mittlerweile in Engagements beim Royal Danish Ballet, Ballett Dortmund, Ballett am Rhein, Poznan Opera Ballet, Györi Balett, Ungarischen Nationalballett oder – wie Marina Mata Gómez und Sören Sakadales – beim Bayerischen Staatsballett tanzt. Ein Ergebnis, auf das Ivan Liška, der die Junior*innen seit mittlerweile 14 Jahren künstlerisch betreut und für die freigewordenen Stellen hunderte von Bewerbungen aus aller Welt erhält, zu Recht stolz sein darf. Seine 16 Neuen (nur Denisa Bzhetaj war schon im vergangenen Jahr dabei) ließ der frühere Staatsballett-Direktor am ersten November-Sonntag fulminant durchstarten – wie u.a. in einer choreografisch sehr eigenwilligen Auslegung von Modest Mussorgskis „Bildern einer Ausstellung“ zu erleben war.
Völlig anders als in der Staatsballett-Version von Alexei Ratmansky wird der Klavierzyklus in verschiedensten Bearbeitungen und Orchestrierungen eingespielt. Das wiederum harmoniert perfekt mit der inhaltlichen Idee, jede der zehn Szenen mit entsprechenden Kostümen einem anderen Malervorbild – darunter Picasso, Magritte oder Mondrian – zu widmen. In nahtlos aneinandergereihten Solos und Duetten – mal mit Fettsuit, mal mit Hut – gelingt es den Interpret*innen wunderbar, sich wiederholt individuell ins beste Bild zu setzen, bevor ihre Silhouetten zum Schluss wieder aufgeräumt vor dem bloß mannshocherleuchteten Hintergrundprospekt nebeneinander zum Stillstand kommen.
Ausgedacht hatten sich den Spaß schon 2014 für eine Bosl-Matinee Münchens Kammertänzer Norbert Graf, Ivan Liška und – als hinzugeholter Gast – Ayman Harper. Mit welchem Einfallsreichtum sie dabei vorgingen, war – völlig zu Unrecht – in Vergessenheit geraten. Ein kleiner Bub im Publikum war jedenfalls dermaßen hingerissen, dass er sich dem Vorschlag seiner erwachsenen Begleiterinnen einfach verweigerte, bereits zur Pause nach Hause zu gehen. Denn kindertauglich im besten Sinn kamen bereits die zwei Nummern davor daher. Für alle beteiligten Studentinnen und Studenten der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater München sowie deren Lehrerschaft bedeutet die vierwöchige Aufführungspause, dass die hervorragende Lebhaftigkeit ihrer Eröffnungsstückeziemlich lange stilistisch frisch und technisch blitzblank erhalten werden muss.
Zusätzliche Herausforderung hinsichtlich der hier geforderten Musikalität, Koordination und Ausstrahlung ist die Zusammenarbeit mit jungen Musiker*innen. Beide Stücke zu Beginn werden musikalisch live vom Volta-Ensemble der Musikhochschule unter Leitung von Mark Pogolski höchst engagiert begleitet. Überaus munter geht es los mit „Exercices Charaktertanz“ – einer im Vokabular der Ballettfolklore gute Laune machenden Mini-Weltreise, die Dozent Dmitry Sokolov Katunin an Ballettstangen im Trainingsablaufmodus für die Mädchen (viele, in schwarzen Bortenröcken) und Jungs (wenige, in balletttypischen Trikots) der drei Mittelstufenklassen dynamisch-straff inszeniert hat. Dass die jungen Leute hier Freude am Tanzen und charakterstarken Bewegungen bzw. Gesten haben, ist nicht zu übersehen.
Anschließend punkten die Tänzerinnen (flinke Fußarbeit auf Spitzen) und Tänzer (Sprungsalven) der Bachelorklassen I und II mit einer Folge romantischer „Divertissements aus dem Ballett ‚Napoli‘“. Gut herausgearbeitet wurde die enorm schwierige, aber federleicht wirkende Bournonville-Technik. Nur der dritte Ballett-Akademie-Beitrag „Once Upon“ passte bedauerlicherweisegar nicht zum tanzintensiven, üppigen Rest des zweistündigen Programms. Nachdem die Junioren in Richard Siegals nachtselig-twistlaunigen „¾ Preludes“ zu Gershwin-Musik frech übers Parkett jazzten, zog David Russos „Once Upon“ – als bloßes Experiment und mehr improvisatorische Recherche denn moderner Reißer – den zweiten Teil unnötig in die Länge.
Inhaltlich bleibt hier alles Gehen, Stehen, Sich-Hinlegen zuvage, um die energetische Verbindung zwischen Bühne und Zuschauerraum – trotz sichtbar bemühter tänzerischer Hingabe – nicht auf der Strecke bleiben zu lassen. Mittendrin schlichten sich die Tänzer am Boden zu zwei Kreisen. Da steigt der kleine Junge von vorhin, der nach der Pause wiedergekommen ist, aus – mit den geflüsterten Worten: „Jetzt ist Ende!“.Ganz richtig: Es wäre Russo zu raten gewesen, schon an dieser Stelle Schluss zu machen.
Liška und seine neuen Junioren hatten aber noch ein Ass im Ärmel: MarcoGoeckes „All Long Dem Day“ zu Nina Simones temposchürendem Lied „Sinnerman“. Premiere war zum Ausklang der letzten Spielzeit im Rahmen des Staatsballett-Abends „Sphären“ im Prinzregententheater: damals ein gigantischer Abschiedserfolg für die ausscheidenden Mitglieder des Bayerischen Junior Balletts. Ihre Nachfolger*innen meisterten das Stück nun mit ähnlicher künstlerischer Reife und Professionalität. Beachtlich, beeindruckend, sehenswert!
Noch einmal zu sehen im Nationaltheater am 3.12. um 11 Uhr. Karten erhältlich über den Ticketshop der Bayerischen Staatsoper.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments