Auf dem Weg in neue Höhen
Die Heinz-Bosl-Stiftung mit ihren Herbstmatinéen im Nationaltheater
So bitter es klingt, Not macht erfinderisch. Um Tänzerinnen oder Tänzer gerade in diesen Zeiten buchstäblich bei der Stange zu halten, hat Ivan Liška ein coronataugliches Aufführungskonzept mit seinem Bayerisches Junior Ballett München entwickelt und auf die Beine gestellt, das weit mehr ist als eine Notlösung. Gemeint ist die vierteilige Folge der Solo-Recitals.
In kleinem Rahmen präsentierten die jungen Tänzerinnen und Tänzer aus aller Welt am vergangenen Freitag vor 20 Zuschauer*innen zum zweiten Mal ihr durchweg beachtliches Können im Vernon-Saal. Dabei konnte das Publikum durch das kleine Format in die Probenatmosphäre eintauchen und zugleich ihre Bühnenpräsenz spüren. Gezeigt wurden anspruchsvolle Soli aus dem klassischen, neoklassischen und zeitgenössischen Repertoire.
Märchenhaftes wurde - gleich in mehrerlei Hinsicht - geboten. Allein die Tatsache, dass dieser Abend stattfinden konnte, zeigte, dass in gewisser Weise Märchen nun wieder wahr werden können. Auch inhaltlich war das Programm, immerhin mit 12 Beiträgen, dem Thema Märchen gewidmet. Die Zahl 13 ließ man lieber außer Acht - ein Zufall? Wie auch immer: Das Spektrum des Programms reichte vom „Däumling“ (Arnau Redorta) über „Julia“ (Ana Mamic) aus „Romeo und Julia“ und „Raymonda“ (Jacopo Iadimarco) bis hin zu Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ (Anna Greenberg) nach dem amerikanischen Action-Künstler Jackson Pollock und zu Liškas koketter Choreografie „Luce“ (Benedetta Musso), um nur einige Beiträge zu nennen. Auch Richard Siegal aus der „Forsythe“-Schule und Gründer des „Ballet of Difference“ war mit seinem Werk „New 45“ (Ayala Magril) ebenso vertreten wie beispielsweise Bournonvilles virtuoses Werk „La Ventana“ (Lucas Praetorius). Zu erwähnen sind die ausdrucksstarken wie technisch präzise agierenden Tänzerinnen und Tänzer Freya Wilkinson („Odalisque“ aus: „Le Corsaire“), Isabella Wagar („Allegro Brillante“ Balanchine) und der überaus elegante und sprunggewaltige Camillo Lussana als „Prinz Siegfried“ in „Schwanensee“.
Der Charme dieser Veranstaltung begründet sich nicht allein im Programm, das Liška tanz- und musikgeschichtlich einordnend moderierte. Souverän stellte er freundschaftlich ‚seine‘ Tänzerinnen und Tänzer (zum Teil schon in zweiter Generation) vor, die vom Publikum gefeiert wurden. In diesem Zusammenhang wurde auch immer wieder die pädagogische Notwendigkeit von Auftritten oder Gastspielen für das künftige Berufsleben unterstrichen, die im Lehrplan der hiesigen Ballettausbildung fest verankert sind. Darüber hinaus sind die Gastspiele auch von wirtschaftlicher Bedeutung für die Bosl-Stiftung, die durch die Einnahmen soziale Härten abfängt - gerade in Corona-Zeiten. Wie schön, dass der Tanz auch Literaten wie Wolf Wondraschek (Autor von „Selbstbild mit russischem Klavier“) angelockt hat, der als Zuschauer zu Gast war.
Bleibt zu hoffen, dass dieses bestechende Studio-Format der Recitals - vielleicht auch in Verbindung mit anderen Künsten - nach Corona fortgesetzt wird, ein breites Echo im Publikum findet und den Mitgliedern dieses hochkarätigen Ballett-Ensembles märchenhafte Engagements bescheren.
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