„Menopause, Menopause!“
In Erlangen startete das 24. Internationale Figurentheaterfestival
Zum Abschluss des 24. Internationalen Figurentheaterfestivals in Nürnberg
Starke Frauen prägten das diesjährige Figurentheaterfestival, zu dem laut den Veranstaltern rund 18.000 Besucher*innen strömten und das am vergangenen Wochenende zu Ende ging. Da sang Eva Meyer-Keller in „Turn the P/Age“ ein Loblied auf die Frau in den Wechseljahren; da zeigte die aus der Elfenbeinküste stammende Choreografin Nadia Beugré in „Filles-Pétroles“ den Kampf zweier junger Frauen aus prekären Verhältnissen um eine hellere Zukunft; da ließ Silvia Gribaudi in dem preisgekrönten Stück „R.OSA – 10 exercises for new virtuosities“ die Performerin Claudia Marsicano auf das Publikum los, deren Körper humorvoll von Power, Beweglichkeit und Eleganz erzählte.
Neben explizit politischen Aufführungen konnte man in der zweiten Festival-Hälfte einen weiteren Schwerpunkt entdecken: Die Auseinandersetzung mit Meisterwerken der Malerei. So holte die belgische Compagnie Mossoux-Bonté in einer Überarbeitung ihres 35 Jahre alten Klassikers „Die neuesten Halluzinationen von Lucas Cranach dem Älteren“ die Bilderwelt des deutschen Renaissance-Künstlers auf die Bühne des Erlanger Markgrafentheaters, während sich am selben Ort Aurélien Bory mit der Compagnie 111 für „invisibili“ von dem in Palermo hängenden Fresko „Triumph des Todes“ inspirieren ließ. Zwei poetische, bildgewaltige und zuletzt auch die Gegenwart kommentierende Arbeiten an der produktiven Schnittstelle von Tanz- und Bildertheater.
Nicole Mossoux und Patrick Bonté versetzten sich in die Köpfe der von Lucas Cranach dargestellten Personen und fragten, wie sich diese bei ihrem Handeln gefühlt haben könnten. Beispielsweise Adam und Eva kurz vor dem Sündenfall. Oder Judith im Moment, bevor sie den Kopf des Holofernes vom Rumpf trennen wird. Dazu haben die Belgier*innen eine große Wand mit unterschiedlichen Öffnungen im Stil illusionistischer Trompe-l’œil-Malerei auf die Bühne gewuchtet. Die fünf Performer*innen, nackt oder in prächtige Renaissance-Kostüme gekleidet, springen dem Publikum so beinahe entgegen. Ein Effekt, der durch die ausgetüftelte Lichtregie noch verstärkt wird.
Während das Publikum damit beschäftigt ist, die Bilder Cranachs, die als Vorlage dienten, aus dem Gedächtnis hervorzukramen, lässt die Kompanie die dargestellten Personen auf kuriose Weise lebendig werden. Wenn sich zum Beispiel Adam und Eva neckisch den Apfel zuwerfen, sieht man nur die Beine und Becken ihrer Darstellenden. Nimm du ihn, nein, du, scheinen sie zu sagen, auch wenn die Inszenierung ganz ohne gesprochene Worte auskommt. Wozu auch? Die Mimik der Judith-Performerin verriet auch so den inneren Kampf: Soll sie wirklich das Schwert gegen den Feldherren Holofernes zücken? Am Ende kommen die Akteure hinter der Wand hervor, treten an die Rampe und wirken dabei sehr verstört und verloren. Sind Cranachs Figuren also Menschen wie du und ich? Das nicht. Aber die Konflikte, die sie austragen, sind unsere. Immer noch!
Auch der Tod ist ein Thema, das jeden von uns angeht. Doch wird er heute meistens verdrängt. Anders im Mittelalter und in der Renaissance. Hier konfrontierte man sich künstlerisch mit dem „Triumph des Todes“. So heißt auch ein sizilianisches Wandgemälde von einem unbekannten Künstler aus dem 15. Jahrhundert, das man im Palazzo Abatellis bewundern kann. Oder in der Inszenierung „invisibili“ von Aurélien Bory, wo es als riesige Stoffbahn über die ganze Bühne gespannt ist. Der Franzose lässt einzelne Szenen des Freskos, auf dem ein klapperdürrer Tod auf einem klapperdürren Pferd durch eine Menschenmenge pflügt, wie unter dem Brennglas von einem Tänzer und vier Tänzerinnen nachstellen. Hier betet eine junge Frau, dort fleht ein alter Mann oder lenkt sich ein Musiker mit seinem Instrument ab. Der Sensenmann, so der Tenor des Bildes wie des Reenactments, erwischt jeden, ob jung, ob alt, ob arm, ob reich.
Bory, der sich selbst in der Tradition von Pina Bausch sieht, belässt es jedoch nicht dabei. Inspiriert von mittelalterlichen Totentänzen zeigt er zu live gespielter Saxophon- und Orgelmusik einen expressiven Reigen in sich verschlungener Arme. Dabei trägt die Compagnie 111, anders als die Compagnie Mossoux-Bonté, keine historischen Kostüme. Nur leichte, wehende Gewänder in Schwarz und Weiß. In den markantesten Szenen werden die Performer eins mit der riesigen Stoffbahn, die sich in Bewegung wahlweise in ein Leichentuch verwandelt oder zu Meereswellen auftürmt. An diesem Punkt wird das Stück gesellschaftspolitisch. In Borys Interpretation symbolisiert das Fresko nun das Mittelmeer vor Sizilien, in dem Bootsflüchtlinge Jahr für Jahr ertrinken. Unsichtbare Tote, invisibili eben. Tosender Applaus, minutenlang!
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments