Stark aufgespielt
Arno Schuitemakers „If you could see me now“ in der Tafelhalle Nürnberg
Die transmediale Tanzperformance „Exit Through The Inside“ in der Tafelhalle Nürnberg
Am Anfang steht eine Beschwörung. Eine schwarz gekleidete Gestalt, vielleicht Schamanin, vielleicht Vamp, vielleicht Zeremonienmeisterin, betritt langsam die Spielfläche. Die martialische Schulterrüstung und laut klackernde Disco-Stiefel kontrastieren mit einem eleganten Stoffkleid. Hinter ihr hängt eine kreisrunde Leinwand. Auch auf dem Boden vor ihr ist ein großer weißer Kreis, darauf drapiert ein ausladendes Stück Stoff. Kaum hebt die geheimnisvolle Frau exaltiert ihre Hände, beginnt sich, rischel, raschel, etwas unter dem Stoff zu rühren. Erst sachte, dann immer heftiger, bis ein Knäuel aus drei eng verschlungenen Performerinnen sichtbar wird, die Trikots tragen, wie man sie vom Bahnradfahren kennt. Nur, dass sie hier apfelgrün sind und die Verzierungen auf dem Rücken sie wie Insekten wirken lassen. Mit langsam fließenden Bewegungen beginnen sie den vom Stoff befreiten Kreis zu umrunden. Dabei berühren sich ihre Körper fortwährend, Contact Improvisation lässt grüßen.
„Exit Through The Inside“ nennt sich die neue Tanzperformance von „CUTTY SHELLS“. Hinter dem Namen verbirgt sich die freischaffende Regisseurin Katharina Simons, deren multimediale Arbeiten an der Schnittstelle von Realität und Virtualität angesiedelt sind. Das zeigt sich bereits in den ersten Minuten in der ausverkauften Nürnberger Tafelhalle, in denen man Zeuge einer Art Geburtsvorgang wird. Die vor Spannung vibrierende Performance von Ana Szopa, Bar Gonen, Friederike Heine und Lina Hartmann wird begleitet vom technoid klingenden Sounddesign Jan Pfitzers zwischen Knistern, Dröhnen und Stampfen. Sowie einer aufwendigen 3D-Animation und Videoregie, hinter der neben Fanny Hagmeier das Kollektiv „Ruhrgebieterinnen“ steckt.
In den beiden großen Kreisflächen erscheinen immer neue Projektionen. Sie erinnern an das Strömen psychedelischer Lavalampen oder an biologische Vorgänge, wie sie unter einem Mikroskop zu beobachten sind. Bei den Kreisen, zentrales Element der von Vanessa Vadineanu entworfenen Bühne, um die die Zuschauer wiederum im Kreis sitzen, denkt man unwillkürlich auch an Petrischalen. Was wiederum perfekt zu der Grundidee von Simons Arbeit passt: Der nur auf den ersten Blick paradox klingenden Frage nämlich, ob und wie moderne Technik dem Menschen bei der Rückbesinnung auf die Natur helfen kann. Stichwort: Technoschamanismus.
Natürlich lässt das einstündige Stück diese Frage am Ende unbeantwortet. Jeder soll sich seinen eigenen Reim auf die nicht selten wunderbar rätselhaften Vorgänge im mal kühl-blau, mal warm-gelb, mal aggressiv-rot eingeleuchteten Bühnenrund machen. Schauen zwei Tänzerinnen, die sich ineinander verkeilt haben, nicht auf einmal wie eine stolze Gottesanbeterin aus? Erinnert eine andere Szene nicht an Käfer beim Paarungsakt? An wüst ausgetragene Revierkämpfe? Daneben gibt es Momente, in denen alle konvulsivisch zucken und so Abgrenzung, aber auch Einsamkeit ausdrücken. Dann sucht man jedoch auch wieder Nähe. Beschnuppert sich, küsst sich vielleicht gar im Halbdunkel? Ein Dialog zwischen Mann und Frau wird eingespielt, darin heißt es: „We became one“.
Die Zunge spielt eine große Rolle in der Performance, die das Verhältnis von Mensch, Tier und Technik, abstrakter: von Kultur und Natur, Innen und Außen verhandelt. Ohne Zunge kein Hauchen und Fauchen, Wispern und Flüstern. Man streckt sie raus, macht mit ihr schmatzende Geräusche: „Exit Through The Inside“ eben. Schließlich der kathartische Wirkung entfaltende Schluss, der den bis dahin vorherrschenden Ernst aufbricht. Alle Performerinnen sind nun so gut wie nackt und wälzen sich unter- und übereinander in einer Masse aus Glibber. Es ist das erste und einzige Mal, dass sie lachen!
Weitere Vorstellungen: 24. Februar, 15. und 16. März, jeweils 20 Uhr.
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