Gala zum 50. Geburtstag von Iwanson International im Münchner Gasteig

Blick zurück nach vorn

Gala zum 50. Geburtstag von Iwanson International im Münchner Gasteig

Die Maxime „Ein Leben ohne Tanz ist möglich, aber sinnlos“ – frei nach Loriot – macht sich die Iwanson-Schule (Iwanson International School of Contemporary Dance) zu eigen – und dies seit 50 Jahren mit internationalem Erfolg, wie spätestens mit der Gala am vergangenen Freitag im Gasteig einmal mehr offenkundig wurde.

München, 03/06/2024

Loriot, der im letzten Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, spielt mit diesem zeitlosen Ausspruch auf Nietzsches Zitat aus dem Jahr 1888 an: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“ ‚Thema und Variationen‘ gilt auch für diese imposante Geburtstagsgala von Iwanson International, einer Ausbildungsinstitution, die die Vielfalt des Zeitgenössischen Tanzes auf die Bühne bringt und international zu den führenden Ausbildungsstätten des zeitgenössischen Tanzes zählt. Ein ausgeklügelter Lehrplan mit Schwerpunkt ‚Pädagogik‘ bzw. ‚Bühne‘ sowie der Idee, viele verschiedene Choreograf*innen den Student*innen ‚zuzuführen‘, bildet das Rüstzeug für den Eintritt in das oft nicht einfache Berufsleben.

Diese Rechnung geht hier auf, wie man auch allein an der wohlabgestimmten Programmdramaturgie erkennen kann. Außergewöhnliche Talente bekommen entsprechende Unterstützungen, zum Beispiel in Form von Ehrungen und Auszeichnungen, wie einige sie im Gasteig entgegennehmen konnten. Gerade für junge, erfolgversprechende Tänzerpersönlichkeiten, die, wie ihre Kolleg*innen und Kollegen auch, für den Erfolg der gesamten Schule und am Beginn ihrer beruflichen Karriere stehen, ist das natürlich beflügelnd. Wer bisher nicht ausgezeichnet wurde, soll seine Flügel nicht hängen lassen, sondern diese Krise als Chance nutzen – leichter gesagt als getan. Aber genau dies ist auch Teil des pädagogischen Programms von Iwanson International. Vergeben werden Ausbildungsstipendien, sowie Teilnahme an Workshops oder Unterstützung durch die 2007 von Stefan Sixt und Jessica Iwanson gegründete Iwanson-Sixt-Stiftung Zeitgenössischer Tanz, die sich insbesondere für die Verbesserung der Situation des zeitgenössischen Tanznachwuchses einsetzt, Workshop- und Austauschprogramme mit europäischen Tanzakademien fördert und sich für den choreografischen Nachwuchs durch Proberaumstipendien engagiert.

Ein kontrastreiches, hochanspruchsvolles Programm beeindruckt das Publikum im Carl-Orff-Saal im Münchner Gasteig am vergangenen Freitag. Ehemalige, Student*innen und Absolvent*innen der ersten Stunde, aber auch noch junge Kinderaugen bewundern die Darbietungen, beispielsweise von fast gemalten Naturlandschaften im Norden Dänemarks in „Skagen“. Bewundernswert ist es, wie anschaulich, fließend, den Wellenbewegungen des Meeres nachempfunden die Student*innen des 3. Jahres der Ausbildung Linie 1 (Schwerpunkt ‚Bühne‘) dieses Naturereignis auf die Bühne bringen. Sie sind in der Lage, Jessica Iwansons Tanzgemälde lebendig werden zu lassen, indem sie klein aber fein etwa Wassertiere mit klarer Gestik aufscheinen lassen. Der zeitliche (Bilder)-Rahmen beginnt mit dem Sonnenaufgang und endet mit dem Sonnenuntergang – ein naheliegender wie wirkungsvoller Kunstgriff, der mittels einfacher Lichteffekte die differenzierte Tanzsprache zur Geltung kommen lässt.

Wieder zurück zuhause, im Münchner Gasteig, begegnen wir dem technisch wie musikalisch und tänzerisch anspruchsvollen Werk, das Präzision, Flexibilität und Körperspannung einfordert. Gemeint ist das Orff’sche „summus finis“ aus „Carmina Burana“ – klarerweise im Orff-Saal. Ein kontrastreiches Werk, auch im Gegensatz zur ersten Choreografie („Skagen“) präsentiert sich „summus finis“ im feurigen Rot, temporeich, komplex und artistisch. Zu erleben ist ein aufregendes Wechselspiel zwischen Liebe und Vernunft, einer Suche nach der eigenen Identität. Dabei steht Fortuna als Symbol von Kraft, Schicksal und Macht im Mittelpunkt, auch im Zentrum des Lebens. Eine choreografische Meisterleistung von Minka-Marie Heiß, die zusammen mit den Studenten entstanden ist und enorm bejubelt wird.

Herausfordernd, nicht nur thematisch, folgt „Weder bei dir noch ohne dich“ von Patrick Delcroix, der das Spannungsfeld zwischen Bewunderung und Liebe in die Tanzsprache übersetzt.

Mit Nadine Gerspachers Arbeit „Birdshood and other kingdoms”, das in Zusammenarbeit mit den Student*innen entstanden ist, nutzen die Tänzer*innen auch ihr gesamtes, schauspielerisches und mimisches Repertoire: Die Hoheiten stehen zunächst wie Puppen Modell: Beginnende Mimik wie das Lächeln als Minimalbewegungen werden zur Sensation, bevor der König und die Königin ‚auftauen‘ und ihre Bewegungen Platz greifen und damit lebendig werden. Eine Anspielung an „The King’s Speech“ ist unübersehbar und lässt das Publikum mindestens schmunzeln, weit mehr als die besagte Minimalbewegung.

Der frisch mit der „Duncan-Statue“ ausgezeichnete Moritz Ostruschnjak geht mit seiner vielschichtigen Kreation „Excerpts of YESTER:NOW“ auf die Bühne. Schwarz auf weiß sehen wir, welche Themen wie Frieden, Rassismus und Mut den Menschen unter den Füßen brennen. Ostruschnjak beschreitet mit dieser bewegenden Choreografie nicht den üblichen Pfad. Genau wie in seinem Leben beginnt Moritz Ostruschnjak hier mit Breaking und Hip-Hop. Erst spät wendet er sich dem zeitgenössischen Tanz zu – eine im positiven Sinn merkwürdige Mischung, die durchaus tanzbiografischen Charakter hat und zum Nachdenken anregt.

Dass die Iwanson-Compagnie, hier die Mitglieder der Linie 1 des 3. Lehrjahres, Slapstick auf Schwedisch aus dem FF beherrscht, ist eigentlich keine Überraschung. Aber genau diese Nonchalance auf die Bühne zu bringen, als sei es nur nebenbei, macht die Qualität dieser differenzierten und immer wieder selbstkritisch hinterfragten und den Gegebenheiten angepasste Ausbildung am Iwanson International aus. Gemeint ist Jessica Iwansons Choreografie „Dancers on Tour“, die herrlich witzig das Leben eines Tänzers oder Tänzerin auf Gastspielreise mit allen kleinen und großen Problemen auf die Bühne bringt: Zu dumm, wenn der Koffer immer wieder aufspringt und das Innenleben wie etwa das herausfallende Tutu ein Eigenleben führt.

Von einer Reise ganz ohne Hindernisse, einer Reise in die Vergangenheit von Iwanson International in die vergangenen 50 Jahre kann hier durchaus die Rede sein, auch wenn die Zeiten alles andere als einfach waren und sicherlich nicht entspannter werden. Man denke nur an Corona. Durch diese kritische Zeit haben Johannes Härtl und Marie Preußler die Schule mit Geschick geführt. Dafür sind nicht nur die Gründer Jessica Iwanson und Stefan Sixt, die die Schule mit Augenmaß, Perfektion und Ideenreichtum ins Leben gerufen haben, den beiden „Neuen“ dankbar, die alle die „Iwanson-DNA“ (Stefan Sixt) in sich tragen. Auch die Stadt München ist um eine Facette Tanzgeschichte reicher geworden und zeigt sich erkenntlich. Mit Optimismus darf daher Iwanson International als   international renommierten Kaderschmiede des zeitgenössischen Tanzes in die Zukunft schauen und mit Stolz auf ihre Geschichte blicken. Nina Hümpel und Walter Heun sind des Lobes voll für „Iwanson International“. Sämtliche Verdienste dieser Ausbildungsstätte aufzuzählen, würde den hiesigen Rahmen sprengen. Eine Geburtstagsfeier ohne einen Hauptwunsch für diese (Tanz)Schule der Zukunft, die sich auch an Kinder, Laien, Profis und Erwachsene richtet, fehlt nach Ansicht von Gründungsmitglied und ehemaligem Skiakrobat Stefan Sixt doch noch, und er steht damit nicht allein: Der Wunsch, Tanzgeschichte in Form eines „Münchner Tanzhauses“ (also Probenstätte) fortzuschreiben, steht ganz oben auf der Liste. Im Sinne von Iwanson International könnte man einfach für Unterstützung werben und sagen: „Make it!“

 

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