Das Phänomen der Unsichtbarkeit
Uraufführung von Anna Konjetzkys „Songs of Absence“ im Rahmen des Münchner Spielart-Festivals
Der Titel „Solo für Maria“ ist ambivalent. Einerseits spielt er auf den biblischen Namen an, ein Name, bis zum Rande gefüllt mit traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit, ein Name, der international weit verbreitet ist. Andererseits ist er auch der Name der Tänzerin des Abends: Maria Tembe.
Maria Tembe kommt aus Maputo, der Hauptstadt des süd-ost-afrikanischen Landes Mosambik. Sie wurde in zeitgenössischem Tanz ausgebildet, arbeitet als Schauspielerin und war mit einigen Tanzproduktionen an internationalen Gastspielen beteiligt.
Im ersten Abschnitt der Performance stellt Maria Tembe ihr Bewegungsrepertoire vor. Ihr Beine sind amputiert und so hat sie eine ganz eigene kraftvolle Bewegungssprache entwickelt, eine Bewegungssprache, in der sie zum einen den Fokus auf die Arme legt, sich zum anderen aber auch ihre körperliche Beeinträchtigung zu eigen macht und nutzt.
Zu Beginn befindet sie sich – gekleidet in ein weißes Oberteil mit einem weißen Haarteil auf dem Kopf – am vorderen Rand der leeren und schwach beleuchteten Bühne. In absoluter Stille beginnt sie, sich hin- und herzudrehen, ihren Körper zu verkrümmen und dies mit kraftvollen, rudernden und zitternden Armbewegungen zu begleiten.
Nach einem kurzen Black, in dem ein großer weißer Rock auf der Bühne deponiert worden ist und sie sich ein weißes Tutu angezogen hat, bewegt sie sich quer über die Bühne und zeigt dabei die Vielfältigkeit ihrer tänzerischen Fähigkeiten. Sie testet ihre Bewegungen aus und steigert sie, bis sie in einer körperlichen Symbiose sich teils mit den Armen hebend, teils springend über die Bühne gleitet. Trotz der immensen körperlichen Anstrengung tut sie dies äußerst elegant, mit würdevollem und selbstsicherem Blick. Ihr Bewegungsrepertoire scheint bis ins letzte Detail perfektioniert.
Maria Tembe setzt diese Schau bis zur Erschöpfung fort, bis sie stürzt und sich den weißen Rock, der vorne auf der Bühne liegt, überzieht. An dieser Stelle erfährt die autobiografische Performance einen jähen Schnitt und wird durch einen gesellschaftlichen Diskurs ergänzt. Während sich Maria den Rock überwirft, läuft projiziert ein stiller Monolog ab, in dem sie sich vorstellt und über gesellschaftliche Zwänge und Leiden von Frauen, insbesondere in ihrer Kultur, spricht. Vor allem klagt sie den immer noch in 28 afrikanischen Ländern weit verbreiteten Brauch der weiblichen Genitalverstümmelung an. Sowohl die Amputation ihrer Beine als auch diese Form der Amputation seien irreversible Schäden.
An dieser Stelle knüpft die Performance an das zuvor in derselben Veranstaltung gezeigte Stück „My Body Belongs to Me“ von Laila Soliman und Ruud Gielens an. Hier hatten sechs Performerinnen aus dem Sudan und Eritrea über ihre persönlichen Erfahrungen mit Genitalverstümmelung und die teils daraus resultierende Flucht nach Deutschland gesprochen und durch das Singen von traditionellen Liedern aus ihrer Kultur einen Diskurs über Brauchtum und dessen potenzieller Gefahren aufgemacht.
Ausgehend von dieser Anklage vertanzt Maria Tembe im zweiten Teil von „Solo für Maria“; der vom international erfolgreichen mosambikanischen Choreografen Panaibra Gabriel Canda erarbeitet wurde, Gewalterfahrungen und missbrauchte Frauenrechte. Hier geht die zuvor geschaffene Leichtigkeit, Souveränität und Stille komplett verloren. Verzweifelt versucht sie, den Rock abzulegen, sie springt und rollt ihren Körper über die Bühne, beginnt zu keuchen und zu stöhnen. Das zuvor etablierte Bild der selbstbestimmten Tänzerin, die ihre körperliche Beeinträchtigung zu ihrer Stärke gemacht hat, leidet an den gesellschaftlichen Weiblichkeitsbildern. die hier assoziativ, aber wirkungsvoll mit Mitteln wie Tutu und Rock aufgebaut werden. Sie versucht, diesen Bildern auf der Bühne zu entkommen.
Besonders beeindruckend ist in „Solo für Maria“ die Intensität, mit denen sich Maria Tembe in ihren Tanz wirft, ihre körperliche Stärke, der Mut zum Hässlichen und das schonungslose sich dem Publikum Aussetzen, wodurch sie einen intimen Einblick in ihren individuellen Schmerz zulässt. Sowohl in der von Leichtigkeit geprägten ersten wie in der von Schwere geprägten zweiten Hälfte schafft sie es dadurch, stets die Spannung aufrecht zu erhalten. Durch den stillen Monolog gelingt der Übergang vom ersten zum zweiten Teil sowie der damit verbundene Stimmungswechsel unaufgeregt und kreiert so die Basis für das verhandelte Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft.
Im Großteil der 45-minütigen Performance herrscht musikalische Stille. Nur an drei Stellen werden Lieder eingespielt, mal Klassik mal Rock. Leider geht aber genau an diesen Stellen der Fokus auf die Tänzerin, auf die Details ihrer Bewegungen, auf ihre Atmung, ein wenig verloren. Zudem wirkt die Einspielung ein wenig konstruiert und am Ende fast kitschig.
Aus diesem Grund und auch weil eine der letzten Szenen, in der Maria Tembe minutenlang die Enden des Rockes umherwirft, ihn auf den Boden schlägt und in verschiedenen Positionen um ihren Körper legt, langwierig wird, kann die Intensität des Stückes am Schluss nicht mehr ganz aufrechterhalten werden.
Dennoch ist „Solo für Maria“ ein zunächst beeindruckender, später zutiefst bedrückender und anregender persönlicher Abend, der das begeisterte Publikum hoffentlich nicht nur jubeln, sondern auch über ihre Privilegien und deren Auswirkungen auf Teile der Weltbevölkerung nachdenken lässt.
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