fa(u)ntastisch
Abtauchen in Pans Universum bei der Performance „[Faun]“
Das „Flower-Power-Festival“ in München zeigte eine Serie, die so gar nicht geplant war.
Wie viel hat die Natur mit uns Menschen gemein? Was verbindet uns und unsere digitalen Kommunikationsmöglichkeiten mit Fähigkeiten von Pflanzen oder Eigenarten aus dem ganz eigenständigen Reich der Pilze, die weder Pflanze noch Tier sind? Bereits im 19. Jahrhundert, in der Ära des romantischen Balletts, wurde in Stücken wie Paul Taglionis „Théa, ou La Fée aux Fleurs“ die Flüchtigkeit von Tanzbewegung mit der transitorischen Moment von Blumen verschränkt und das Auf- und Verblühen dargestellt.
Auch aktuell scheint dieses Themenfeld ein wichtiger Inspirationsfaktor für Choreograf*innen der freien Szene zu sein – und das gewiss nicht erst seit man im sommerlichen München das „Flower Power Festival“ ausgerufen hat. Dabei werden neue, teils überraschende und erst dank innovativer technischer Möglichkeiten seh- und hörbar zu machende Forschungserkenntnisse aufgegriffen und tänzerisch umgesetzt. Das kann – wie zu beobachten war – tolle künstlerische Kräfte entfalten, Schrittvokabular verändern und unser Bild vom gar nicht so einzigartig überlegenen Menschsein ganz konkret und noch dazu herrlich abstrakt zurechtrücken. So legte das koreanische Duo „Zinada“ seiner Auseinandersetzung mit Heimat und dem Verwurzeln fernab einer solchen in seiner Frühjahrs-Produktion „Huabun“ (übersetzt „Topfpflanze“) das einschlägige Fachbuch „Die Intelligenz der Pflanzen“ zugrunde.
„Witness“ von Věra Ondrašíková
Věra Ondrašíková, eine junge Choreografin aus Prag, sorgte im Rahmen des diesjährigen DANCE-Festivals nicht nur für ein sensationelles Performance-Erlebnis, sondern vermochte mittels ihrer Produktion „Witness“ eindrucksvoller als jeder verbale Appell ins Bewusstsein der Zuschauer einzugraben, dass der Mensch durch den Raubbau an Bäumen letztendlich sich selbst vernichtet.
Ondrašíková setzte Licht und Nebel als Effektmittel ein, um eine gigantische, das Publikum gleichsam verschlingende dreidimensionale Raumwirkung zu erschaffen. Drei Tänzer – einer davon blieb durchgehend unsichtbar – bewegten sich selbst sowie baumgroße Äste und kleinere Zweige. Es knarzte, Holz barst und krachte. Die Männer verhalfen der an sich toten Bühnen-Natur in einem faszinierenden Zusammenspiel zu neuer Lebendigkeit und verschmolzen immer mehr mit ihr. Feuerrote Adern pulsierten plötzlich in den Baumteilen. Trockeneis wurde zum Buschbrand und ein Laser-Meer mutierte zur alles ertränkenden, zähgrauen Flut. Arme, Köpfe und Geäst tauchten auf und versanken wieder. Geschöpfe der Natur und Naturgewalten wurden hier extrem bildhaft und absolut faszinierend in Szene gesetzt.
„Flora“ von Matteo Carvone
Völlig anders näherte sich Matteo Carvone in seiner Tanzperformance „Flora“ dem Lebenskosmos der Pflanzen. Er tauchte regelrecht ein in das andersartig und nicht hierarchisch funktionierende Ökosystem, um es choreografisch zu erkunden – schlicht, emotional-bildhaft und nachvollziehbar. Als Ausgangspunkt dienten schon im Vorfeld wissenschaftlich neu herausgefundene Fakten über die keineswegs bloß stumme Kommunikation zwischen Gewächsen: Ultraschallwellen, die Pflanzen in Notzuständen aussenden und durch Anpassung ihrer Frequenz nun für das menschliche Ohr auch im Prolog und Soundtrack während der Vorstellung „Flora“ zu hören sind.
Von Gasteig-Chef Max Wagner eigens damit beauftragt, ein Highlight zum „Flower Power Festival“ für die große Halle E des HP 8 zu erarbeiten, präsentierte der italienische Tänzer und Choreograf eine famos recherchierte, teils sehr humorvolle Produktion. Das Zusammenspiel von medialer Digitalität und Live-Performance kam bei den Zuschauern fabelhaft gut an. Ein älterer Herr meinte anschließend sogar, nie zuvor hätte er sein Innerstes derart nach außen gestülpt erlebt. Gut so, denn im besten Fall bringt schließlich jeder eigene Erfahrungen, Stimmungen und Assoziationen in ein hierzu geeignetes Theatererlebnis mit ein.
Matteo Carvones vier Interpret*innen bespielen eine von Höfen unterbrochene Plattform aus teppichbedeckten Tischen. Sie führen quasi ein faseriges, Sonne und Gewitter mehr oder weniger gern ausgesetztes Eigenleben, bei dem sie sich immer wieder zu Paaren oder Gruppen formieren, einmal beschwingt ihre Unterschenkel gemeinsam baumeln lassen oder sich wurzelgleich in verborgene, unterirdische Räume und Gänge verkriechen.
Über Live-Kameras, die das expressiv wie bewegungsmotorisch starke Performer-Kleeblatt Clara Cafiero, Cristian Cucco, David Pallant und Francesco Saverio Cavaliere jeweils Szene für Szene neu justieren, wird alles Bewegen und Interagieren im Quasi-Erdreich unter den Tischen bzw. ein Miteinander-Verwachsen im Liegen am Boden sichtbar – unmittelbar übertragen auf vier riesige, hoch über dem Bühnenset aufgehängte Bildschirme.
Diese erzeugt spontane – manchmal vom Zuschauer erst verzögert wahrgenommene – Perspektivwechsel. Man hat die Qual der Wahl, den drei Tänzern und ihrer Kollegin zu folgen oder mit den Augen am sich passagenweise von Screen zu Screen fortsetzenden Geschehen hängen zu bleiben. Zeit-, Orts- und Realitätsebenen verschwimmen. Organische Klänge, die Komponist Antoine Bertin eigens im Botanischen Garten, seinen Gewächshäusern und von dort Beschäftigten eingefangen hat, unterstützen zusätzlich das Gefühl, beim Betrachten dieser Aufführung ruhig seine Gedanken schweifen lassen dürfen.
Gleich zu Beginn wird man in einer filmischen – noch vom eigentlichen Aufführungsbereich abgetrennten – Installation von Protagonist*innen begrüßt, denen sonor-sanfte Klicklaute unterlegt sind. Sie bewegen sich kaum aber weich und thematisieren unter anderem das Klima. Die Kommunikationsgeräusche der Pflanzen hat Carvone in seinem Prolog direkt mit ihren Gesichtern verknüpft. Der Loop dauert fünf Minuten. Dann tritt man ein in die Welt der Photosynthese betreibenden Geschöpfe, die Carvone vor uns choreografisch so nah und fremd zugleich ausgebreitet hat.
„Terranova/body maps“ von Diego Tortelli
In seiner jüngsten Kreation „Terranova/body maps“ setzt Diego Tortelli dem noch eins an Abstraktion drauf. Länger schon beschäftigt ihn das uns Menschen weltweit vernetzende Phänomen Internet und die Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation. Jetzt ist er einen Schritt weiter in Richtung organischer Interaktionsmechanismen gegangen: In einem technisch sehr herausfordernden Duett hat er tänzerisch veranschaulicht, dass Zellen (Hyphen) Beziehungen eingehen können, dank sogenannter Myzelien. Pflanzen tauschen mit diesen fadenförmigen, sich weit im Boden verzweigenden Pilzgeflechten über weite Entfernungen hin Informationen aus.
Wie aber reagiert das menschliche Innere auf eine derartige vegetative Symbiose? „Terranova/body maps“ experimentiert eindrücklich mit imaginärer Mimikry, mit Anpassung durch Verwandlung und dem Ablegen gewöhnlicher, stereotypischer Bewegungen. Floorwork und extreme Cambrés, längeres Innehalten, Ruckartigkeit, Pausieren in abartigen Verbiegungen, das Annähern von einer Hand zur anderen, ein gänzliches voneinander Entfernen und Berührungen werden de facto überführt in ein völlig neu und sozusagen unbewusst gedachtes Vokabular.
Anfangs durchschneidet eine grüne Lichtsäule das Dunkel. Sie strahlt wie durch ein Grottenloch von der Decke herab bis zum schwarzen Grund. Zwei Gestalten in neongrünen, zu Mustern geschlitzten Tops und in schwarzen Hosen kauern dort: Minouche van de Ven und Benoît Couchot. Sie sind ein Wahnsinnspaar, das – aus anthropologischer Sicht – zu keiner Sekunde als ein menschliches Doppel agiert. Vielmehr lassen sie uns einfach die Kraft und Energie von irgendwie zielgerichteten Existenzen spüren, die keine lesbaren Emotionen zeigen, sich aber im verschatteten, beeindruckend changierenden Ambiente einer sie halbkreisförmig umgebenden Lichtkathedrale behaupten und stetig an Boden gewinnen.
Van de Ven und Couchot schieben ihre Handrücken ins Helle. Jeder von ihnen klebt einmal hinten im Abseits wie ein Gecko an der Wand. Es braucht seine Zeit, bis sie sich für eine Weile aus der Bauchlage in den Stand erheben. Ihre Hauptarena ist das von den mobilen Laserspots begrenzte Rund. Deren Lichtkegel zaubern immer wieder imposante Architekturgebilde in die Luft. Das ist eine tolle Show für sich, und es ergeben sich bildlich schöne Stimmungen und Eindrücke. Man mag sie als Verläufe von Nacht- und Tageszeiten oder Jahres-, respektive Wetterzyklen deuten – zumal später Nebel mit der erneut grün vertikal einfallenden Lichtschneise in die scheinbar abgeschottete Welt strömt. Die Tänzer beginnen mit einem ihrer Arme zu kreisen: ein Windmühleffekt zu sphärisch anmutender Musik, der sich fast bis zum Ende hinzieht. Der Nebel sinkt, verdichtet sich, Schatten verlängern die Arme ins Unendliche. Im Hintergrund öffnet sich kurz ein Schlund. Zurück bleiben zwei Wesen im dumpfig grauen Raum. Begeisterter Applaus für eine gelungene Fusion von Natur und Tanz in einer gigantischen Lichtskulptur.
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