Ganz und gar vom Raum bestimmt

Jasmine Ellis und Evandro Pedroni im HochX München

„Everything blue“ – Uraufführung eines originellen, dank toller Interpret*innen und Teamzusammenarbeit gelungener Tanzzweiteilers, in dem ein Plattenspieler als ungewöhnliche Sound-Quelle fungiert.

München, 20/01/2020

Starke Sache, wenn Tanz einer Räumlichkeit Sinn verleiht. Dieser muss dann gar nicht ausnahmslos hyperelaboriert oder bewegungsschmissig daherkommen. Gerade in Evandro Pedronis choreografischem Auftaktstück „Blue“ teilt sich eigentlich alles mit – durch die Positionierung im kärglich mit Neonleuchten aufgehellten Bühnenraum ebenso wie durch die körperliche Ausrichtung und Haltung plus intensive Blickwechsel der drei Protagonist*innen. Zäh, denkt man zu Anfang vielleicht. Und wird dann doch mit hinein in den mysteriösen Bann zwischen Örtlich- und Persönlichkeit gezogen.

Die Ausdeutung impulsiver Leibkrümmungen oder expressiver Arm- und Beinartikulationen aber bleibt – vorerst zumindest – gänzlich assoziationsfrei dem Publikum überlassen. Ab dem Moment, wo Johanna Nielson und Robyn/Hugo Le Brigand zu immer schnelleren Beats synchron durch den Raum zu surfen beginnen, triumphiert ein zu reiner Struktur verdichteter Dialog, der die Zuschauer*innen mit einbindet, über mögliche inhaltliche Belange. Klar ist nur, dass dem von der Decke hängenden, mächtig über der Tanzfläche lastenden Stangengewirr irgendeine große Bedeutung innewohnt.

„Blue“ fasziniert mit einer Serie lebender Bilder, deren Fixpunkt die Tänzerin Quindell Orton ist. Auf ihren Unterarmen ruht – wie ein kostbares, fast heiliges Gut – ein Plattenspieler, der als ungewöhnliche Sound-Quelle des originellen, dank toller Interpret*innen und Teamzusammenarbeit gelungenen Uraufführungsabends „everything blue“ von Jasmine Ellis (Idee und Konzept) und Evandro Pedroni fungiert.

Nach 25 Minuten läutet ein herzhaftes, laut eskalierendes Lachgewitter die zwar lästige, doch notwendige Umbaupause im kleinen Münchner Theater HochX ein. Nur unter Ausschluss der Zuschauer gelingt der geniale Überraschungscoup, den Maximilian Hirning (Musik), Theresa Scheitzenhammer (Bühnenbild) und Clemens Krüger (Licht) hier zur atmosphärischen Verklammerung des thematisch letztlich eng verzahnten Zweiteilers bewerkstelligt haben.

Wieder zurück im Saal sieht man vor lauter umrisshaft zu Kommoden, Sesseln und einem Doppelbett verschraubten Stangen kaum mehr freie Flächen. Sehenswert, wie es Cristina D'Alberto und Samuel Garcia Minguillon trotzdem gelingt, überaus schwunghaft darum herum und mitten hindurch zu rocken. Angestachelt von auf Vinyl gepressten Songs der Jazzformation „The Crown Sessions“. „Wird schon“, murmelt Jürgen Kärcher, und beamt sich mithilfe des jetzt im Regal stehenden Plattenspielers in die Vergangenheit. Sozusagen in eine Zeit, wo er es war, der mit seiner Frau übers Mobiliar tobte.

Baumelte die Wohnungseinrichtung bei Pedroni, dem in Wien beheimateten Brasilianer als bedrohliche Wolke oder überirdisches Kraftfeld über den Tänzer*innen, fordert sie nun Jasmine Ellis' choreografische Kunstfertigkeit heraus. Das Rätselraten um Situationshintergründe ist vorbei. Da kann Kärcher auf Deutsch und Englisch Sätze vernuscheln wie er will. Wegen seiner Abgefahrenheit macht der Halbstünder der Münchner Choreografin mit kanadischen Wurzeln einfach Spaß.
 

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