Frühlings-Matinee der Heinz-Bosl-Stiftung feiert Premiere
Jubel im Nationaltheater für den Tanz der Gegenwart
Viele Schlagzeilen hat die Ballettausbildung im deutschen Raum in jüngster Vergangenheit gemacht, kontroverse bis negative. An zwei renommierte Ausbildungsstätten für klassischen Tanz, die Staatliche Ballettschule Berlin und Schule für Artistik sowie die Ballettakademie der Wiener Staatsoper, wurde eine Sonderkommission entsandt und Clearingstelle eingerichtet – zur Prüfung des langen Katalogs an Vorwürfen der Missachtung des Kindheitswohls und -schutzes. Während Wien unter der neuen Ballettschulleitung Christiana Stefanous, ehemalige Solistin des Bayerischen Staatsballetts, bereits neue hoffnungsvolle Wege geht, ist Berlin noch in seiner Identitätsfindung gefangen – ein kompletter Neuanfang soll gemacht werden, eventuell unter Umbenennung der tänzerischen Ausbildungsstätte, sicherlich aber unter neuer Leitung. Fördern und fordern, ohne Überforderung – in aller Munde.
Stellen Wien und Berlin nur Einzelfälle dar? Wohl kaum, denn sie müssen eher als Fallbeispiele betrachtet werden, welche an die Öffentlichkeit gelangt sind, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß die Ausbildung der gesamten Tanz- und Ballettwelt betreffen. Man sehe sich weltweit mit der Notwendigkeit einer weitgreifenden, zukunftsweisenden Reform konfrontiert; die Tanzwelt ist „im Wandel“ begriffen, „wenn nicht gar im Umbruch“, wie Prof. Dr. Bernd Redmann, Präsident der Münchner Musikhochschule, betont. Es sei dringend an der Zeit, die eigene Vergangenheit zu reflektieren: Dazu zähle auch, sich von jeglichem – ehemals durchaus gängigem – autoritärem Verhalten eines Tanzdozierenden gegenüber seiner Studierenden zu distanzieren und einen Unterrichtsstil auf selber Augenhöhe zu praktizieren, welcher den Menschen in den Mittelpunkt rückt. Es müsse eine Balance gefunden werden, zwischen der Erlernung einer Höchstleistung einfordernden Kunstform und einem ethisch vertretbaren Ziel dorthin, wie Prof. Jan Broeckx, Leiter der Ballett-Akademie, konstatiert: „Wir stehen in einer besonderen Verantwortung offene und gesunde Künstler auszubilden.“ Besonders schwer wiegt diese Verantwortung bei den Jung-Studierenden der Ballett-Akademie, Kinder im Alter ab acht Jahren, mit besonderen Bedürfnissen. Der Fokus dürfe hier nicht mehr darauf liegen: Was unterrichtet wird, sondern wie. Berufs- und Bildungsmodell gelte es miteinander in Einklang zu bringen sowie eine neue Kultur des Dialogs und gegenseitigen Respekts zu erschaffen – die Bereitschaft zur Selbstreflexion stets beinhaltend.
Das nun der Öffentlichkeit vorgestellte und übergebene pädagogische Konzept war innerhalb eines zweijährigen partizipativen Prozesses anhand vorangegangener Workshops im Austausch aller Angehörigen der Ballett-Akademie miteinander entstanden – federführend hier der Tanzdozent David Russo und Studiendekan Prof. Dr. Andrea Sangiorgio. Es präsentiert sich als verbindliches Dokument, welches das Vertrauen der Studierenden in ihre Institution bestärken und sie zum mündigen Teil der Community ermächtigen will. Fragen nach der Methodik und Ethik, aber auch gegenseitigen Verbindlichkeit wurden daher im gemeinsamen Dialog mit ihnen formuliert. Dass es hier nicht bei der reinen Theorie bleiben, sondern gewonnene Erkenntnisse zur Praxis werden und in diese überführt werden müsse, stehe für die Hochschule an erster Stelle: „Es sei kein geschlossenes Konzept, sondern ein atmendes System“, welches es mit Leben zu füllen gilt, so Redmann. Eine der obersten Prämissen sei die Transparenz des Konzepts und seine Leitziele; weshalb die Hochschule die für sich neu festgelegten Grundsätze auch nicht für sich behalten, sondern für jeden einlesbar auf der institutseigenen Homepage präsentiert. Nicht nur zur Absicherung für sich, sondern vor allem als hoffentlich wertvoller Beitrag, um eine Teilhabe und den Austausch mit anderen professionellen Ausbildungsstätten des Bühnentanzes zu ermöglichen und gemeinsam etwas zu bewirken.
Bei allem Idealismus sei fraglos „Luft nach oben“, räumt Redmann ein. Defizite gäbe es vor allem in der räumlichen und personellen Infrastruktur. So läge etwa bereits ein besonderer Fokus auf dem intensiven Austausch mit dem an der Ballett-Akademie lehrenden Tanzmediziner Marc Geifes; doch das tanzmedizinisch-psychologische Personal gelte es dringend noch zu erweitern, um eine flächendeckende und vollumfängliche Betreuung der Studierenden zu gewährleisten. Platz und Personal fehle darüber hinaus für eine der Hochschule angegliederte Ausbildung von Tanzpädagogen*innen – womit eine „wichtige Brücke“ gebaut werden könnte, für die „Zeit nach der aktiven Berufslaufbahn als Tänzer“. Auch eine bessere „Verzahnung“ der professionellen Tanzausbildung mit dem schulischen Alltag der Jungstudierenden stelle eine Herzensangelegenheit für den Präsidenten dar sowie eine bessere Transparenz von Prüfungsverfahren und ihrer Ergebnisse.
Es gibt also noch einiges zu tun, doch ein erster, wichtiger Schritt ist getan: Die Münchner Ballett-Akademie scheint sich seiner Aufgaben und Verantwortlichkeiten mehr als bewusst zu sein und ihre Studierenden danken es ihnen. Josephine Kaus, die sich im Abschlussjahr ihrer Tanzausbildung befindet, betont auf der Konferenz: „Es ist schön zu sehen, dass die Notwendigkeit eines Wandels erkannt wird. Dass sich die Lehrenden Gedanken darüber gemacht haben, wie man den Unterricht künftig verbessern könnte.“ Damit dies alles keine „heiße Luft“ bleibt, sollen die reellen Ergebnisse in einem Jahr überprüft und evaluiert werden – das Konzept regelmäßig eine Revision erfahren.
Der bei der Pressekonferenz ebenfalls anwesende Ivan Liŝka, künstlerischer Leiter des Bayerischen Junior Balletts München und Vorsitzender der Heinz-Bosl-Stiftung, zeigt sich überaus positiv gestimmt von den derzeitigen Entwicklungen und bezeichnet sich selbst als deren „Nutznießer“. Das neu entwickelte pädagogische Konzept verspreche seiner Meinung nach eine „helle Zukunft“; und er begrüße schon jetzt die Studierenden als „willkommene zukünftige Mitglieder“ seiner Kompanie – womit der Übergang von der Ausbildungs- in die Berufswelt, als eigentlichem Ziel, gelungen wäre.
Voller Enthusiasmus und gewissem Stolz präsentiert sich die Münchner Ballett-Akademie mit ihrem neu erstellten pädagogischen Konzept, zu Recht. Dennoch scheint es ein weiter Weg zu sein, die Tanzausbildung in seiner Gänze und global zu verändern – ein sehr weiter. Denn weder beginnen und enden die Defizite bei der professionellen tänzerischen Ausbildung, noch sind sie auf die Welt des Balletts beschränkt. In der Welt des Tanzes bleiben Tänzer*innen, die schon längst als mündige Erwachsene im Berufsleben stehen, im Grunde ihr Künstlerleben lang „Boys and Girls“ und werden vielerorts noch immer als auswechselbares Material der Choreograf*innen und Direktor*innen betrachtet. Darüber hinaus bleibt vor allem die immense Herausforderung bestehen, eine Kunstform voller Höchstleistung, Konkurrenz- und Leistungsdruck mit einer Pädagogik sowie Berufswelt der Ethik, Gesundheit und Gleichbehandlung – letztlich mit unserem eigenen Verständnis von Kunst und Kultur – in Einklang zu bringen. Herausforderungen, die man nicht einfach als unlösbar hinnehmen, sondern sich ihnen mit Kopf und Herz stellen sollte: Bruch und Aufbruch zugleich. Berlin, Wien und München, wir schauen voll positiver Erwartung auf Euch und sind gespannt.
Anmerkung der Redaktion: die Autorin Anna Beke ist Lehrbeauftragte für Tanzgeschichte an der Ballett-Akademie, Hochschule für Musik und Theater München.
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