Mit Verwandlungskunst zum Ich
Der Natur auf der Spur: Léonard Engels „Wusch! Zak! Puf!“ im HochX München
Léonard Engel: „How to get rid of a body. A magic manual“ von Léonard Engel im HochX München
Acht Jahre tanzte Léonard Engel im Ensemble des Bayerischen Staatsballetts. 2014/15 wurde der gebürtige Franzose zum Solisten ernannt. Die zurecht viel gerühmte Pina-Bausch-Produktion „Für die Kinder von gestern, heute und morgen“ läutete jedoch einen Umbruch in seiner Karriere ein. Mit Engagements unter anderem beim Tanztheater Wuppertal und Richard Siegals Ballet of Difference sowie durch unzählige Aufführungsbesuche – wie er selbst sagt – gelang ihm der Übergang zum freischaffenden Künstler.
Engel, das merkt man seinem Solo an, ist ganz bei sich geblieben, auch wenn ihn Projekte zu Aktionen antreiben, die auszuführen ihm bisweilen nicht unbedingt leicht fallen. Nach einem Forschungsstipendum der bayerischen Landeshauptstadt im vergangenen Jahr und nach intensiver Recherchezeit über Strategien der Nachahmung in der Tierwelt an seinem neuen Zweitstandort Berlin stellt er sich nun erstmals in München als Performer und Choreograf vor. Und das fulminant. Dabei könnte sein Thema kaum paradoxer sein. Denn es hat etwas, Engel zu beobachten, wie er eine Stunde lang versucht, dem eigenen Körper zu entkommen. Akustisch live auf der Bühne begleitet von Komponist, Elektronik-Musiker und Sound-Designer Korhan Erel.
„How to get rid of a body. A magic manual“ („Wie wird man einen Körper los. Ein magisches Handbuch“) beginnt als sterile Versuchsanordnung im weiß ausgekleideten Labor. Klamotten unterschiedlicher Textur hängen im Hintergrund an Haken. Immer wieder zeichnen Engels Hände Teile seines Körpers ab, verpassen Kopf und Torso flüchtige quadratische Rahmen. Die Finger ums Ohr gespreizt, wird der Nacken über dem knappen Fitnessdress nach vorne gekurbelt, im Liegen Ellbogen und Knie miteinander verknüpft. Ein Roboter, schematisch dem Menschen nachempfunden.
Aus dem Off wird man von einer Frauenstimme mit diversen, krimiverdächtigen Varianten bezirzt, sich möglichst nachhaltig seines Leibs zu entledigen. Dann muss Engel in einen lässigen Outdoor-Anzug schlüpfen, der unter Donnergrollen und Blitzlichtgewitter seine Bewegungen mal metallisch hell zum Leuchten bringt, Augenblicke später in grauer Dumpfheit erstickt. Die optische Illusion verlängert Engel in die Glieder seiner Daumen und Zeigefinger. Doch Erel, der per Nummernzuruf ruppig-einschüchternd die Szenenwechsel von Blickirreführung über Täuschung zu Tarnung vorantreibt, verlangt mehr – bis Engel unter dessen Pult eine Nebelwolke zündet, die kurzzeitig den gesamten Raum verhüllt.
In ein hautenges Zebratrikot gezwängt, mutiert der Tanzperformer flach am Boden zum sich behutsam vorantastenden Gecko. Sein Ziel: Die vor ihm ausgerollte schwarzweiß gemusterte Decke. Mimikry in akribischer Spiderman-Qualität! Um so gut getarnt erneut zu verschwinden, hilft nur mehr Polizeizubehör. Bloß wie vermag Engel sich fast unbemerkt im Leichensack aus seiner Hülle zu pellen? Zum Schluss schaffen es die zwei auf der Bühne jedenfalls, das Publikum in eine utopisch grün-schimmernde Oase visueller Poesie zu entführen. Wo sich ein Heuhaufen auf Stelzen davonmacht und sich zwei Schnäbel ums grasige Futter kabbeln.
Während der Tänzer nach und nach in sein letztes, moosiges Gewand abtaucht, löst sich der Musiker einem Geisterwesen gleich unter silbriger Folie quasi in Luft auf. Meditatives Gesäusel aus dem Off trichtert dem Protagonisten beharrlich ein: „Du fühlst nichts“. Im Timing perfekt entwindet sich Engel dieser Order. Nach einer letzten Verwandlung erlischt das Licht. Alles hat hier Hand und Fuß. Gewiss noch ausbaufähig. Aber schon ein Ereignis.
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