Menschen = Heimat
Re-Staging von Ceren Orans „Heimat...los!“
Wirft man einen Blick auf die Spielpläne der freien Szene, so findet man einige Themensetzungen, die derzeit besonders beliebt sind. Umso auffälliger ist es, wenn sich eine Produktion mit einem Thema auseinandersetzt, das gesellschaftspolitisch zwar genauso schlagkräftig ist, in den darstellenden Künsten aber nur selten im Fokus steht. Ein Beispiel von vielen ist Landwirtschaft und Feldarbeit, über die viel zu verhandeln gibt: Fachkräftemangel, Arbeiterrechte, die Ausbeutung von Gastarbeiter*innen wie bei der deutschen Spargelernte – hiermit setzte sich 2022 zumindest die moldawische Theatermacherin Nicoleta Esinencu in „Sinfonie des Fortschritts“ auseinander –, Ernteeinbußen durch die Klimakrise oder die folgenschweren ökologischen Auswirkungen durch den massiven Wasserverbrauch wie beim spanischen Erdbeeranbau.
In Hannah Schillingers Debütproduktion „Field Work“, die im Rahmen der Tanzwerkstatt Europa im HochX Uraufführung feierte, versucht sich die in Berlin und München tätige Tänzerin und Choreografin mit ihrem Team an einer Annäherung an körperliche und geistige Erfahrungen von Feldarbeiter*innen im Spannungsfeld von Tradition und Modernisierung, Natur und Technik, körperlicher Arbeit und Kultur. Wobei Spannungsfeld hier eigentlich Einklang bedeutet, denn auf die erwartbare körperliche Intensität und Monotonie bis zur Erschöpfung, lautstarke Disharmonie oder dekonstruierende Mittel wird hier weitgehend verzichtet. Es bleibt erstaunlich ruhig, atmosphärisch, bisweilen meditativ und traumhaft entrückt, was zugleich Stärke und Schwäche dieses Abends ist.
Der angekündigte kaleidoskopische Charakter des Stücks ist omnipräsent. Tänzerische Sequenzen in gebückter Arbeiterhaltung, mit mal weichen, mal abgehakt-abstrakten Armschwüngen, zitternden impulshaften Kleinstbewegungen oder dann wieder raumgreifenden, an höfische Tänze erinnernden Schritten gehen fließend über in Momente, in denen die Performenden mit unterschiedlichen Werkzeugen einfallsreiche Bilder kreieren. Da ist einmal die Rückenspritze, ein schulterbarer, hier erleuchteter Wasserkanister mit einem Sprühstab, mit dem Hannah Schillinger und Tänzer Aaron Lang mal den Tanzboden bewässern, mal das Licht der Astera-Leuchten in Nebel hüllen. Die hölzerne dreizackige Harke wird bekämpft, um dann wiederum mit ihr überdimensionierte Krallen an den menschlichen Händen zu imaginieren. Und dann ist da noch ein Düngewerkzeug, das nach oberflächlicher Recherche wohl Dreschflegel heißt – ein mit einem Riemen an einem Holzstiel befestigter Knüppel, den die Tänzer*innen wild um seine eigene Achse tanzen lassen.
In allen diesen Momenten suchen Hannah Schillinger und Aaron Lang nach etwas Tänzerischem in den Bewegungen, Haltungen und Tools der Feldarbeit, nach dem „Tanz in der Monotonie“, wie es Live-Musikerin slowfoam in einem der immer wieder dazwischengeschobenen, durch Hall und Autotune computerhaft verzerrten Monologe formuliert. Wo findet sich Natürlichkeit in mechanischen Bewegungsabläufen, wo Mechanik in menschlicher Körperlichkeit und wie kommen sie ins Gleichgewicht? Dieser Ansatz birgt ein immenses ästhetisches Potenzial, fühlt sich mit zunehmender Entwicklung des Abends manchmal aber doch etwas zu harmonisch, zu wenig aufgerüttelt und dekonstruiert an. Nur einmal, nämlich wenn die Performenden alle traditionellen Werkzeuge ablegen und eine bis dahin geparkte Drohne fliegen lassen, findet ein Bruch in Form einer klaren Zukunfts- oder vielleicht auch schon Gegenwartsvision der Feldarbeit statt. Ansonsten dominiert nicht nur durch die altmodischen Werkzeuge und den Bezug auf höfische Tänze, sondern auch durch die Silhouette der Kostüme der Rückbezug ins Vergangene, Folkloristische.
Gleichzeitig sind Louis Caspar Schmitts Kostüme ein Highlight und angesichts des limitierten Budgets einer debütgeförderten Produktion gar nicht hoch genug zu loben. Bauchfreie Denim-Schnüroberteile, Kopftücher und stoffkombinierende Röcke, die zwischen bäuerlicher Schürze und Jack Wolfskin-Funktionshose changieren, die drehend-kreisenden Bewegungen der Tänzer*innen herrlich akzentuieren und bei genauerem Hingucken doch den ein oder anderen subversiven Twist unterjubeln. Und auch slowfoams fein durchkomponierte Soundlandschaften in einem Mix aus elektronisch verzerrten Naturgeräuschen, mechanischen Rhythmen und sphärischen Scores beeindrucken zutiefst.
Eher subtil flackert an diesem Abend der versprochene queerfeministische Blick auf europäische Feldarbeit auf. Vielleicht wurden hier im sehr interpretatorisch vorwegnehmenden Ankündigungstext auch andere Erwartungen geschürt. Lediglich in einem Monolog aus der Perspektive einer queeren Person auf dem Land flackert da etwas Konkretes auf. Die Erzählung, dass die Regenbogenflagge in der Vergangenheit Symbol von Feldarbeiter*innen-Aufstände war und seither als Mittel friedlichen Protests Verwendung findet, ist erhellend und spannend. Im Konglomerat vielschichtiger aber oft nur angedeuteter Ideen an diesem Abend würde man gerne noch mehr solcher Geschichten erfahren...
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