Richard Siegal geht (zurück) nach Bayern
Das Staatstheater Nürnberg bekommt ab der Spielzeit 2025/26 einen neuen Ballettdirektor
Feine, ziselierende Klicks und Bits gemischt mit Trommeln, Glöckchen und anderen ethnisch gefärbten Klängen, dazu TänzerInnen in futuristisch anmutenden, grauen und hellgrünen Luftpolsterkostümen (von Modedesignerin Becca McCharen-Tran), die sich als Panzer über Oberschenkel und Schultern wölben, sich an den Hüften auffalten, als Tutu-Rudimente und Vogelschwingen die Körperumrisse stetig verwandeln, mal an Hula, Flamenco oder klassischen Bühnentanz denken lassen. Mit diesem Mix an Stilen und Formen präsentierte Richard Siegal seine 2016 in München gegründete Kompanie Ballet of Difference zum Auftakt des diesjährigen DANCE-Festivals.
Für den dreiteiligen Abend „My Generation“ hat der amerikanische Choreograf hineingegriffen in den Pool an Möglichkeiten, sich wieder neu erfunden aus jenem künstlerischen Netzwerk heraus, das ihn gerade umgibt. Diversität und Vielfalt, um die es ja beim Konzept des Ballet of Difference als eine grenzüberschreitende Ballettkompanie gehen soll, fächert sich so (neben den persönlichen Hintergründen der TänzerInnen) lediglich innerhalb der virtuosen Aspekte des Tanzes auf – wie etwa im dritten Teil, dem von Elektro-Beats durchhämmerten „Pop HD“, das Siegal ursprünglich für das Cedar Lake Contemporary Ballett 2014 kreierte. Da treffen ehemalige Staatsballetttänzer auf die Beyonce Knowles-Tänzerin Ebony Williams, mischen sich Wegbegleiter Siegals aus Kompanien von Marseille und New York. Es ist ein buntes Crossover der Wissenskulturen und ein Überqueren der Grenzen von Disziplinen, Stilen und Künsten, das in früheren Arbeiten mit „The Bakery“ und am Bayerischen Staatsballett Anklang fand, dort aber zumeist besser gelang. In dieser Linie steht auch „BoD“, der erste Teil des Abends. Bewegungen und Posen werden quer durch die Tanzgeschichte zitiert und kommentiert, individuelle Styles und Hintergründe gesampelt. Tänzerische Fragmente scheinen auf, um alsbald wieder verwischt zu werden, ins Extrem gesteigerte, skulpturale Körper stehen neben einem lässig hingeschmissenen Stangentraining, das wiederum fusioniert mit Bewegungen des 90er Jahre-Pophits „La Macarena“.
In diesem energetischen Spektakel trifft „Excerpts of a Future Work on the Subjects of Chelsea Manning“ unerwartet. Es bleibt Skizze, wie im Titel bereits angedeutet, und unterbricht den Abend mit seiner pathetischen Textur. Duos und Trios von einer Frau und zwei Männern, in weiße bzw. eine schwarze Unisex-Toga gekleidet, umkreisen das Thema der Androphilie der Whistleblowerin Chelsea (ehemals Bradley) Manning. Konturiert von der Stimme des queeren Sängers Josiah Wise aka Serpentwithfeet, schmelzen Zeilen wie „I offer myself to you, don’t let me doubt you” über die Bühne, um gegen Ende des Stücks im Ruf nach Vergebung zu münden. So irritierend jenes Zwischenspiel kam, so ist es vielleicht genau dieses Wagnis des Tastenden, noch Ungeformten, das Ausblick gibt auf ein Ballet of Difference, dem es dann tatsächlich gelänge, nicht nur als Lifestyle-Produkt an den Festen der Konventionen des Balletts und dessen Institution zu kratzen.
Was ist die Bedeutung des Stils im Tanz? Und wie hängen Ausdruck, Form und Stil als Verständigungsmöglichkeit zusammen? Inwiefern nehmen Prozesse des Labelings, Brandings, aber auch historische Phänomena und die (De-)Konstruktion von Identitäten Einfluss auf Kunststile? Was lässt sich überhaupt unter einem bestimmten Stil kategorisieren, vermitteln und verhandeln? Über jene Themenkomplexe diskutierten TanzpraktikerInnen und WissenschaftlerInnen aus den Disziplinen Tanz, Theater, Film und Design am Eröffnungswochenende des DANCE-Festivals.
Als inhaltlich-theoretische Grundierung lieferte das diesjährige Symposium damit zahlreiche Querverbindungen über die Bedeutung des Stils im Tanz nicht nur während des Symposiums, sondern auch in den Aufführungen nachzudenken – sei es durch die Fusionen von Tanzstilen und -techniken des Ballet of Difference; ob der verloren gemeinten physischen Spezifika früherer Vandekeybus-Stücke, der sich stattdessen in seiner aktuellen Produktion auf das Element verbaler Vielfalt konzentrierte; oder bei den beiden Nachwuchschoreografen Yang Zhen und Daina Ashbee, deren Beschäftigung mit ethnischen Minderheiten in ihren Herkunftsländern über die Materialität des Körpers funktionierte.
Ein dunkler Bass rollt durch den leeren, grau verkleideten Raum. Zwei nackte Körper, sprachlos – der eine richtet seinen Blick ins Publikum, der andere verdeckt das Gesicht mit langen dunklen Haaren, schamvoll, unsichtbar. Daina Ashbees „Unrelated“ trifft. Die kanadische Newcomerin, die sich mit dem Schicksal der indigenen Frauen in ihrer Heimat auseinandersetzte, erzählt in mäandernden Körperbildern von deren Verschwinden und Unterdrückung. Fein komponiert und bis an die Grenzen des Unbehagens getrieben, tasten sich die beiden Frauen voran, taumeln, kreisen um sich selbst, werfen sich donnernd gegen die Wand. Und im Wechselspiel des Sich-Zeigens und Verhüllens, des Zu- und Abwendens vom Publikum wird jede/r einzelne zum Komplizen, auf Täter- und Opferseite gleichermaßen.
Während sich bei Ashbee das Thema Minderheiten in extremen, innerlichen Vorgängen dem Körper einschreibt, exerzieren die fünf PerformerInnen in Yang Zhens tanztheatral angehauchten „Minorities“ - alle studierten an der „Nationalitäten-Hochschule“ Minzu University of China Tanz - das Thema in und am Körper durch. Jede/r von ihnen ist Teil einer der 55 Minderheiten Chinas. Im traditionellen Kostüm und anhand von Lehrvideos ihrer Universität durchwandern sie verschiedene Tanzkulturen und durchbrechen gleichermaßen das scheinbar Dokumentarische. In ihrem Bühnenraum, der einer Assemblage aus Tanzpraktiken, popkulturellen und traditionellen Gegenständen und an die Rückwand projizierten Bildern aus China (inklusive einer schrägen und mit allerlei technischen Spielereien versehenen, ikonenhaften Projektion Maos) gleicht, widmen sie sich den Fragmenten und Facetten ihrer Identitäten. Der erst 25-jährige Choreograf fügt viele Aspekte zusammen, die als Themenkomplex manchmal zu groß wirken, und mitunter in jugendlicher Naivität und Überdrehtheit seiner PerformerInnen Ausdruck finden. Dennoch ist die Aufrichtigkeit, mit denen die PerformerInnen ihre Gedanken und Gefühle mitteilen, berührend. Und so ist, was hängen bleibt, vor allem die Spannung, in der sich die jungen KünstlerInnen befinden – zwischen Tradition, dem zunehmend aufkommenden Kapitalismus in China und ihrem eigenen künstlerischen Selbst.
Neben den beiden Nachwuchschoreografen ist mit Wim Vandekeybus ein Altbekannter im Residenztheater anzutreffen. In „Mockumentary of a contemporary saviour“ versammelt er auf einer modernen Arche Noah sieben auserwählte Menschen. Von sämtlichen Erdteilen kommend, sind sie Repräsentanten und damit auch Stereotypisierungen für seine Story um den letzten Zufluchtsort: Eine Mandarin sprechende Taiwanesin trifft auf den italienischen Poeten und einen amerikanischen Humanisten und den alten, weisen Orientalen. Die Zwischentöne, die Wim Vandekeybus' künstlerische Arbeiten normalerweise durchziehen und ihnen Tiefe verleihen, gehen unter in schrillen Wortkaskaden, therapeutischen Sessions und Rollenspielen. Durchbrochen wird dieses Gemenge an Untergangshysterie nur selten durch körperliche Aktionen, grandios hier Yun Liu und Maria Kolegova, wie etwa die ekstatische Entladung in einem auto-aggressiven Reigen, bei dem sich die PerformerInnen mit einer Gummimatte auf Brust und Rücken schlagend mantrenartig ein „I want to feel“ aus ihren Leibern quetschen.
In diesem Endzeitsetting Vandekeybus' kehrt nun auch die Erinnerung an das eigentliche Eröffnungsstück des Festivals wieder: Benoît Lachambres und Fabrice Ramalingoms „Hyperterrestres“ - das einer Kippfigur gleich den Bogen zwischen den Eröffnungstagen spannt und in lang gezogenen, meditativen Licht- und Soundwechseln den Betrachter einsaugt. In einer Choreografie der Augenblicke gehen die beiden in grau gehüllten, roboterhaften Wesen dem Dasein nach, erkunden ihre Körper in der Spannung von Realität und Fiktion der Theaterbühne. Klänge, am Soundpult von Hahn Rowe live produziert, wandern unter Gelächter des Publikums durch ihre Körper und gipfeln in einem simulierten, von E-Gitarrenriffs begleiteten Raketenstart, Hilfsvorrichtung sind dabei zwei umgedrehte Metallstühle. Dann jedoch verliert sich dieses Spiel mit der Illusion im allzu sorgfältigen Ausbuchstabieren des zuvor gestammelten Monologs Lachambres.
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