Hemmungslose Lobeshymne
Sahra Huby wird mit dem Förderpreis Tanz der Landeshauptstadt München ausgezeichnet
Anna Konjetzky kreiert mit ihrer neuen Performance „Über die Wut“ ein Manifest über weibliche Wut
Audre Lorde,
Audre Lorde, Greta Thunberg, Alexandria Ocasio-Cortez, Simone de Beauvoir, Clara Zetkin, Laurie Penny, Sarah Ahmed, Angela Davis, Medea, Margarete Stokowski, Rosa Parks und Jeanne d´Arc – sie alle sind mit im Raum, wenn Sahra Huby ihrer Wut auf der Bühne freien Lauf lässt. Ihre Reden schweben über allem, als Wolke aus Papier, auf die ein sprechender Mund projiziert ist. „How dare you?“ fragt die Stimme von Greta Thunberg.
„Über die Wut“ ist eine Hommage und ein Aufruf. Eine Ermutigung und eine Forderung, wütend zu sein und noch wütender zu werden – besonders als Frau. Anna Konjetzkys Tanzinstallation hat ihre Uraufführung beim DANCE Festival in München in den Kammerspielen und zeigt, dass es okay ist, wütend zu sein. Es ist ein Soloabend mit der Tänzerin Sahra Huby, die mit ihrem Körper und ihrer Stimme ihrem Zorn Formen und Formulierungen gibt. Aber sie drückt nicht nur ihre eigene Wut aus, die sich lange angestaut zu haben scheint, sondern die von vielen Frauen auf der ganzen Welt, nicht nur heute, sondern über Jahrzehnte hinweg.
Sie spannt die Muskeln an, verzerrt ihr Gesicht, fletscht die Zähne und reißt die Augen auf. Sie schnauft und keucht, schlägt um sich und verpasst der Luft einen Kinnhaken. Immer wieder spielt sie mit Bewegungen, die in unserer Gesellschaft männlich konnotiert sind: mit den Fäusten auf die Brust schlagen oder mit dem Bizeps angeben. Auch wenn alles ein wenig überzogen ist, ist es keine Karikatur. Sie ahmt keine Männer nach, nein, sie kann das genauso wie sie. Sie ist genauso stark und kann genauso wütend sein. Und sie hat allen Grund dazu. Nachdem sie ihren Körper so über die Bühne geschleudert hat, steht sie am Mikro und erzählt, warum und auf was und wen sie wütend ist. Das hat viel Identifikationspotenzial.
Auf der Bühne hängen weiße Papierstreifen der Länge nach von der Decke auf den Boden. Sie erinnern an Banner oder Transparente und dienen hier als Projektionsfläche. Zwischen ihnen flackert in LED-Buchstaben das Wort WUT. Es werden Demonstrationen gezeigt, wo eben solche Banner und Schilder gehalten werden: Black Lives Matter, Enough is enough, Stop Killing Us! Ansonsten Szenen von Flucht, Waldabholzung, alte weiße Männer in Anzügen, die sich die Hände schütteln, Menschen, die über die Mauer an der Grenze zwischen Mexiko und den USA klettern – es gibt genug Gründe wütend zu sein. Aber warum sind wir es nicht? Diese Frage sollte sich beim Publikum immer wieder stellen.
Unsere Kultur ist voll von wütenden Figuren. Sie werden auf eine Leinwand in einem Bilderrahmen projiziert, der ebenfalls von der Decke hängt. Es ist nur der Körper der Tänzerin zu sehen, ihr Gesicht wird ersetzt durch aggressive Comicfiguren oder einen schreienden Jack Nicholson und Frances McDormand in „Three Billboards Ouside Ebbing, Missouri“, eine der großartigsten wütenden Frauenfiguren der letzten Jahre. Der Körper von Sahra Huby unter den Bildern verzerrt sich dabei in Posen von Frustration und Rage. Ihre Beine stampfen auf den Boden ein, Fäuste fliegen durch die Luft. Sie tobt buchstäblich vor Wut. All das ist untermalt von der elektronischen Musik von Brendan Dougherty, die über den gesamten Abend hinweg perfekt unterstreicht, was auf der Bühne passiert. Sie ist hektisch und aufgeladen, manchmal elektrisierend. Sie lässt auch das Adrenalin bei den Zuschauenden steigen. Ja, Wut ist erschöpfend. Das zeigt Sahra Huby auch. Aber was viel wichtiger ist und was zeigt, dass sich all die Energie, die man in seinen Zorn steckt, wirklich lohnt, ist die Befreiung, die danach zu spüren ist. Wenn es egal ist, dass die Gesellschaft von Frauen verlangt, eben nicht wütend zu sein und all die Unterdrückung lächelnd hinzunehmen. Die Tänzerin fliegt am Ende beinahe über die Bühne. Ihre Bewegungen sind fließender, beschwingter und leichter. Nichts ist mehr zu spüren von den verkrampften Muskelanspannungen und Gesichtsverzerrungen vom Anfang. Ihre Haare sind nicht mehr zu einem strengen Zopf gebunden, sondern offen und sie schmeißt ihren Kopf durch die Luft. Sie hat auch ihren Overall abgelegt und ist nun nackt. Ein weiterer Akt der Befreiung und gleichzeitig ein Zeichen der Selbstbestimmung. Am Ende greift sie nochmal zum Mikro. Sie ist nicht allein, sagt sie. Sie ist hier zusammen mit all den wütenden Frauen der Geschichte. Sie nennt ihre Namen und sie laufen in Dauerschleife, bis sie den Raum völlig ausfüllen. Man ist als Frau nicht allein mit seiner Wut. Und es ist wichtig, wütend zu sein. Welche Kraft dadurch entstehen kann, zeigt Anna Konjektzkys Performance mit voller Wucht. Sie zerstört das Bild der hysterischen und zickigen Frau und setzt an ihre Stelle eine starke, zielgerichtete und zornige. Sie zeigt, dass Wut nichts Männliches ist. Wut war bisher eine Emotion, die nicht mit Frauen in Verbindung gebracht wurde. Das sollte sich ändern. Weibliche Wut ist eine Notwendigkeit, um etwas zu verändern und wir brauchen mehr davon.
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