Körper-Raum-Konzentration
Eindrücke von der Tanzwerkstatt Europa 2023 (I)
Zu einem wahren Prokofjew-Marathon luden die Münchner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Valeri Gergejew vergangenes Wochenende in den Gasteig. Nachdem in der letzten Saison zu Prokofjews 125. Geburtstag dessen Klavierkonzerte auf dem Programm standen, erklangen bei MPHIL 360°, das in dieser Saison zum zweiten Mal veranstaltet wurde, sämtliche Sinfonien und Klaviersonaten des russischen Komponisten. Aber nicht nur Zuhörer auch Zuschauer kamen während des dreitägigen Musikfestivals auf ihre Kosten. Wie schon der Bezeichnung MPHIL 360° zu entnehmen ist, öffneten sich die Münchner Philharmoniker in alle Richtungen und überschritten so die Grenze vom rein Musikalischen hin zum zeitgenössischen Tanz.
Dass Tänzer und Musiker auf einer Bühne zusammen auftreten, zeigt, wie eng beide Künste seit jeher miteinander verbunden sind und sich immer wieder gegenseitig inspirieren. Das wurde auch am Samstagabend mit der Uraufführung der Tanz-Konzerte deutlich, die im Rahmen eines Projekts von Access to dance von zeitgenössische Komponisten, Choreografen und Tänzer erarbeitet wurden. Musikalische Grundlage der Produktion „(Re-)written – 3 Tanz-Konzerte für Sergey mit Prolog“ war Prokofjews Quintett in g-moll, op. 39 für Oboe, Klarinette, Violine, Viola und Kontrabass. Drei verschiedene Künstlerteams setzen sich mit diesem Quintett kompositorisch wie choreografisch auseinander und interpretierten es neu.
Das Quintett ist Teil des verschollenen Balletts „Trapèze“ in sechs Bildern aus dem Jahr 1924. In der ersten Choreografie „What happens when“ thematisieren die Choreografen und Tänzer Andrea Buckley und Charlie Morissey den Recherche-Prozess zur Entstehungsgeschichte des Balletts. Nur einzelne Fragmente ließen sich zu einem unvollständigen Ganzen zusammenfügen. Auch Komponist Orlando Gough, der auf Prokofjews Skizzen zu diesem Quintett zurückgreift, setzt diese Problematik musikalisch um. Anschließend wurde Prokofjews sechssätziges anspruchsvolles Quintett im Original zu Gehör gebracht. Den Musikern gelang es, das Clowneske herauszuarbeiten und den Stil einer Zirkuskapelle nachzuahmen - nicht zuletzt durch das Kontrabasssolo, in dem man buchstäblich das im Zirkus wohl bekannte Rüsseltier in der Manege umher trotten hören konnte.
Ein Höhepunkt dieses inspirierenden Abends war zweifellos Kat Válastur und Sebastian Planos Werk „Sulantat“. Der Titel „Sulantat“ ist im Übrigen als Wortspiel zu dem antiken Mythos des Frevlers Tantalus zu verstehen. Ansonsten diente auch hier das Ballett „Trapèze“ als Inspirationsquelle für Kat Válasturs „Arbeit mit einem Körper, der sich schwerelos im Raum bewegt“. Mit Elien Rodarel hatte der Choreograf einen Trapezkünstler gefunden, der mit seiner Leistung dem Publikum manchmal den Atem stocken ließ, zeigte doch Rodarel in luftigen Höhen artistische Kunststücke an einer Seilschaukel. Doch „Sulantat“ ist weit mehr als die Aneinanderreihung von Kunststücken. Für Válastur ist es Tanz.
Der Abend klang aus mit Sabine Glenz' und Robert Merdzos „Septett für 3 Musiker und 4 Tänzer“. In ihrer Choreografie befasst sich die Münchner Choreografin mit dem Verhältnis zum Anderen, zum Fremden und zur Gruppe, zur Gemeinschaft, was schließlich auch etwas über das Verhältnis zu uns selbst aussagt. Diesen spannenden Prozess hat Glenz mit vier Tänzern überzeugend in Szene gesetzt. Der Musiker Robert Merdzo, der Prokofjews Quintett in Form, Struktur, Tonart und Tempi unangetastet ließ, hat neben wenigen Veränderungen eine E-Gitarre hinzugefügt, was mit der Choreografie perfekt im Einklang stand.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments