Etwas vergeigt, viel gewonnen
Zum zwölften Mal zeigt „Schleudertraum“ zeitgenössischen Tanz in Regensburg
Beim Regensburger Festival „Schleudertraum 12“ erlebten mehrere Stücke des Tanztauschprojektes „Transformance CityXChange“ ihre Premiere
Wo anfangen? Zwei Abende mit insgesamt 16 Tanzstücken, das ist einerseits wunderbar vergnüglich und unterhaltend, andererseits auch strapaziös und enorm fordernd. Mit dem diesjährigen Schleudertraum-Festival machte die tanzstelle R, ein Zusammenschluss von Tanzenden und Choreografen in Ostbayern, das Dutzend voll. Zum zwölften Mal bereits stellten hiesige TänzerInnen und einige Gäste eigene Stücke, darunter auch mehrere Premieren, im Theater an der Uni vor.
Der zweite Abend war einer neuen Veranstaltungsreihe gewidmet. „Transformance CityXChange“ ist ein bislang einmaliges Tanztauschprojekt, welches im Rahmen des bundesweiten Tanzjahres 2016 für Bayern entwickelt worden ist. Dabei haben die vier Regensburgerinnen Katrin Hofreiter, Ute Steinberger, Heidi Huber und Alexandra Karabelas ihre Stücke KollegInnen zur Bearbeitung und Neuinterpretation zur Verfügung gestellt – und umgekehrt. So hat Ludger Lamers aus München Katrin Hofreiters um Gefühle ringendes Solo „schwanenfeld“ bearbeitet. Die Regensburgerin hat es aus Peter Iljitsch Tschaikowskis Musik in der ihr eigenen, pathetischen Ästhetik entwickelt und 2014 in Straubing erstmals vorgestellt. In Lamers Uminterpretation „branco sujo. Eine schwarz/weiße Malerei“ wurde daraus das extremste Stück des Festivals – ein Tanz ohne Tanz. Dafür mit überlauter Musik, unscharfen und abstrakten Projektionen, schemenhaften Bewegungen auf dunkler Bühne, menschlichen Geräuschen und jeder Menge gesprochenem Text. Der international tätige Choreograf und Schauspieler ist damit weit über die Grenzen herkömmlicher Bewegungsästhetik und -formen hinaus in Richtung Multi-Media-Performance oder experimenteller Kunstinstallation gegangen. Sein intellektueller Anspruch, dass sich hier „der Besucher jederzeit mit dem Guten und Bösen, (…) dem Wahren und Unwahren seiner Selbst“ konfrontiert sieht, ist dabei fast gänzlich zwischen Verwirrung und Bedröhnung zermalmt worden. Hier müsste Alexandra Karabelas warnender Hinweis in ihrer Anmoderation, das Projekt sei „ein artifizieller, teils geschlossener Prozess“ und hauptsächlich etwas „für Freaks“ erweitert werden: für hartgesottene Freaks!
Die Verwendung von Sprache und Text war noch in einigen weiteren Bearbeitungen und Neuinterpretationen derart dominant, dass man durchaus ins Zweifeln kommen konnte, ob man sich noch im Tanz- oder schon im Sprechtheater befindet. Auch Karabelas Bearbeitung von Sabine Glenz „Soft Cut“ (2009), neu betitelt „No Cut“ und getanzt von Kilta Rainprechter, Susanna Curtis und Nikolaus Hau, zählte zu dieser Kategorie. Gänzlich unbeleckt von solchen Unsicherheiten katapultierte Ute Steinberger mit „NEONlichtgefühle(n)“ die leider nur wenigen ZuschauerInnen in eine quietschbunte Welt der 1980er Jahre. Ihr Duett zwischen neonfarbener NDW-Unbekümmertheit und drohender Depression war ein unterhaltsamer, tänzerisch nicht ganz überzeugender Lichtblick. Tänzerisch überzeugend waren dagegen Anika Weiland und Maximilian Schmid in der sehr einfach gestrickten, romantisch-zuckrigen Liebesgeschichte „A Love Story“ von Heidi Huber als Sich-Verliebende an der Bushaltestelle am Arnulfsplatz. Wunderbar anschaulich auch David Bloom und Susanna Curtis in ihrer „Peanuts“-Neufassung „Na, puste!“ über Geschlechterfallen und die Auflösung von Identitäten. Mit Witz, subtiler Erotik und süffigem Spiel mit Geschlechterklischees entwarfen die Zwei pointierte Bilder zwischen Hetero-Homo-und-Transgender-Wirrwarr. Köstlich!
Zwischen Breakdance und Herzschmerz, herrlichem Humor und überwältigender Liebeswut changierten ein Schlagzeuger und ein Tänzer (Johannes Walter) in Sebastian Eilers anrührend-mitreißendem „Daihatsucuore“ - einer Interpretation von Ute Steinbergers „Tako-Tsubo“. Eine spannende Auseinandersetzung mit Ludger Lamers Videoaufzeichnung seiner Duo-Performance „Le Sceptre et la Marotte“ lieferte Sabine Glenz als Choreografin und Tänzerin mit „Lu Mer“. Wie von Spiegelneuronen geleitet, greift sie Bewegungen und Formen auf, um sie nachgetanzt weiterzuführen, und damit den Prozess etwas Abgeschlossenes zu erleben aufhebt.
Endlose Wiederholungen gesprochenen Textes aus dem Song „Take me to church“ des irischen Sängers Hozier und eine Choreografie, die an ‚lebende Statuen’ in Fußgängerzonen erinnerte, ließen Stephanie Felbers „Skándalon.“ zu einem zähen, stumpfen Moralbrei gerinnen. Ihre Duo-Performance mit Nikos Konstantakis von Heidi Hubers Choreografie über den Hozier-Song, in dem es um Liebe und Sexualität geht, egal, in welcher Form diese gelebt wird, krankte an Langatmigkeit und einer inszenatorischen Schwere. Die eigentliche Botschaft des Stücks, dass es eben nicht darauf ankommt, wer mit wem zusammen kommt und dass christliche und religiöse Doppelmoral aufgedeckt werden muss, wurde darunter nahezu erstickt.
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