Etwas vergeigt, viel gewonnen
Zum zwölften Mal zeigt „Schleudertraum“ zeitgenössischen Tanz in Regensburg
Bericht zum Schleudertraum-Festival in Regensburg
„Trösten Sie sich, ich betrüge auch jemanden!“ Das ins Ohr geflüsterte Bekenntnis einer Unbekannten verwirrte den Berichterstatter vorderhand. Nach der Pause wollte er lediglich seinen Platz wieder einnehmen. Ähnlich erging es anderen Zuschauern. Auf einige hemmungslos knutschende Paare im Foyer des Theaters an der Uni Regensburg reagierten sie je nach persönlicher Anschauung belustigt oder unangenehm berührt. „Voyeur!“ bekam gar manch Betrachter in vorauseilender „correctness“ um die Ohren geknallt. Die demonstrative Sinnlichkeit erklärte sich wenig später als trickreicher Vorlauf, um die Zuschauer auf die letzte Choreografie des diesjährigen Schleudertraum-Festivals einzustimmen.
Für „A. S Round Dance“ hat sich Alexandra Karabelas Arthur Schnitzlers „Reigen. Zehn Dialoge“ als Ausgangspunkt genommen. Mit acht Tänzern, einem modernen Souffleur und einem Streichquartett ließ sie in fünf Skizzen unterschiedliche Paarkonstellationen aufeinander prallen. Wolfgang Maas lieferte am Laptop kryptische Dialoge, die auf die Betonwand übertragen Analogien heraufbeschworen. Die Rolle der konfrontativ zum Publikum gewandten Tänzer bestand hauptsächlich aus rennen, küssen und sinnlich aufgeladenen Annäherungen und Abstoßungen. Ein unaufgeräumter Wettlauf, ein nervöses Spiel zwischen Intimität und öffentlichem Zurschaustellen. Trotz berührender Momente, verharrte das etwas langatmige Stück ein wenig zu sehr an der Oberfläche. Nichts was heute noch aufregen könnte, im Unterschied zur skandalösen Uraufführung von Schnitzlers freizügigem Stück 1920.
Auf musikalische Kontraste setzte Maas als Choreograf mit Studenten der Akademie für Darstellende Kunst. In seine Gruppenanordnung „Zehn“ zum Festivaljubiläum packte der Regensburger von Sex, Aggressionen, Ängsten, hochputschender Gewalt bis zu Geschlechterklischees und Ausgrenzungen so ziemlich alles, was das Leben bereit hält. Tänzerisch weniger rund und synchron als die Profis, überzeugten die angehenden Schauspieler durch leidenschaftlichen Einsatz und aufrüttelnde Akzente. Daran wiederum haperte es in Ute Steinbergers Choreografie „Die Blütenknospen springen nordwärts“. Mit diesem etwas rätselhaften Bilderbogen will Steinberger Eindrücke aus Nordkorea mit seinen kitschigen Massenspektakeln und Plastikblumen vermitteln. Zwar kommt eine Ahnung der bedingungslosen Folgsamkeit auf, wenn die kleinen Blumenmädchen sich niederwerfen, wenn eine scharfe Trillerpfeife aus dem Off schrillt. Auch die kleine, eher holprige als zarte Liebesgeschichte der Tanztrainerin (Ute Steinberger) zu einem russischen Politbesucher (Andy Diehl) lässt sich nachvollziehen. Doch insgesamt wirkt die Aufführung eher wie eine ratlose, gymnastische Übung mit emotionsarmen Tanzeinlagen.
Beifallmeister wurde – wenig erstaunlich – „Fitness mit Frieda“ der Nürnberger Schauspielerin Susanna Curtis. Beherzt machte sie sich als gut proportionierte Hausfrau an die Umsetzung eines ambitionierten Fasten-, Yoga-, Abstinenz- und Fitnessprogramms. Eine köstliche Parodie, hervorragend zu swingender Musik von Leonard Bernstein in Szene gesetzt. Eindringlich und hinreißend der Eindruck, den Cindy Hammers „Wankuku“ hinterließ. Während ein Bud-Spencer-Verschnitt in Stöckelschuhen am Bühnenrand eine Melone im Fauteuil löffelte, tanzte sich hinter ihm ein Trio den Wolf ab. Wie ein surrealer Traum aus verstrichenen Wünschen, Erinnerungen und tiefen Sehnsüchten läuft im dramatischen Halbdunkel ein poetischer Stummfilm voller Schmerz und Erregung ab. Tänzerisch beeindruckend, überzeugt das Ensemble durch Dynamik, spannungsreiche Kontraste und revuehafte Elemente. Ein ohrenbetäubender stiller Traum zu elektronischen Grooves und Lou Reeds hypnotischer „Venus in Furs“.
Eine Spur aus Steinen trennte die Bühne in Jana Ressels Choreografie „Perform Perspective II“ in zwei diagonale Hälften. Ein transparenter Gazevorhang diente als Projektionsfläche für einen schemenhaften Tanz. Hinter diesem verdoppelt und wiederholt die Solotänzerin Juliane Bauer wie besessen ihre eigenen Bewegungen. Großartig. Cellist Sascha Werschau arbeitete mit düster-insistierenden repetitiven Grooves, die das Aufwühlende des ins Wahnhafte getriebene Wirbelns dramatisch unterstrich. Spannend und tänzerisch gelungen Sebastiano Boniventos „Swarm“, bei dem es um Dreiecksbeziehungen, Linien und Formen geht. Witzig und hochemotional Martina Feiertags Aufforderung an vier Tänzer: „Interpretiert!“. Die sich vom Zedern ins Kreischen steigernde Spanierin gegenüber dem lässigen Macho beschwor geradezu den Geist Pedro Almodovars herauf. Sehr vergnüglich, mitreißend und viel versprechend.
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