Jenseits von schwarz und weiß
Osiel Gouneo stellt seine Autobiografie vor
Pick bloggt über die Festwochen in München, eine Reise nach Nordhausen und kommt dabei auf einige grundsätzliche Überlegungen
Die Eröffnungspremiere der Ballettfestwochen in München überschnitt sich mit der vom Tanzfonds Erbe geförderten Produktion in Nordhausen „Die Tänzerin von Auschwitz“. Das Stück beruht auf einem Buch des Neffen von Tante Roosje, Peter Glaser, das literarisch wohl kein Meisterwerk ist, aber die Geschichte hat gereizt nun ein Tanztheater daraus zu machen, das allerdings die Schwäche des Buches leider übernimmt.
Am nächsten Tag hatte ich dann glücklicherweise das natürlich nicht vergleichbare Tanztheater der Pina Bausch „Für die Kinder von gestern, heute und morgen“ in der leider für ein streckenweise so poetisches Stück viel zu großen Bayerischen Staatsoper. Das Bühnenbild von Peter Papst sieht allerdings so aus, als ob es für diesen überdimensionalen Raum erfunden sei und das nicht nur, wenn die weißen Wände mit riesigen Türen nach der Pause ihre Ausgangsposition verlassen und ein geniales Eigenleben erahnen lassen, das aber viel zu wenig genutzt wird.
Aber zunächst möchte ich meine Hochachtung den Leitern des Bayerischen Staatsballetts Ivan Liška und Bettina Wagner-Bergelt zum Ausdruck bringen, die sich seit Jahren schon, vor dem Tod der gefeierten Choreografin, mit deren Segen, damit beschäftigt haben, dieses Stück auf ein anderes, nämlich ihr Ensemble zu übertragen. Das erinnert mich sehr an die langen Bußgänge der Brigitte Lefèvre, ihres Zeichens Ballettdirektorin der Pariser Oper, die sich in den Kopf gesetzt hatte, Pinas „Sacre“ in die Stadt zu importieren, ohne das die Weltkarriere dieser Meisterin nicht denkbar gewesen wäre.
Trotzdem hat Pina alles getan, was ihr einfiel, diesen Plan zu erschweren, indem sie unerfüllbare Probenperioden verlangte. Das wiederum hat sie wahrscheinlich von ihrem Entdecker und Lehrer, Kurt Jooss, dessen Werke sie in ihrer Anfangszeit in verschiedenen Programmen in Wuppertal zeigte. Daher wusste sie, wie solche Verträge auszusehen haben. Ein ganzer Stab von Mitarbeitern, die bei den Probenzeiten notwendig waren, drohten die finanziellen Mittel auch einer so reichen Theaterinstitution wie dem Pariser Ballett zu sprengen. Diese offensichtlich starken Damen Wagner-Bergelt und Lefèvre haben einen stillen Kampf geführt, der nur hinter verschlossenen Türen stattfand, aber am Ende für alle Seiten zu einem Gewinn wurde.
Das zeigt, dass im Tanz jedenfalls die Frauen das stärkere Geschlecht sind, wenn auch der männliche Tanz und die Ausführenden seit dem Auftauchen von Rudolf Nurejev dieses Übergewicht stark verändert haben. Und wenn Malve Gradinger nach der Bosl-Matinee beklagt, dass der Nachwuchs an begabten Tänzerinnen nachlässt, kann ich ihr nur beipflichten. Konstanze Vernon hatte den richtigen Riecher, als sie Bettina, die ich aus Frankfurt kannte, wo sie zuerst im TaT als dramaturgische Assistentin und Mädchen für Alles, Lorbeeren sammelte, während ich in jenem ehemaligen R. W. Fassbinder-Theater am Turm bei Egbert Strolka mit seinen Studenten zuerst das Stück „Leben heißt Hoffen“ erarbeitete und dann dort zur Aufführung brachte. Es ist ihr Verdienst dem zeitgenössischen Tanz in Frankfurt eine neue Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, was dort in der Karriere eines Billy Forsythe gipfelte, (die übrigens auch über Paris führte, wo zeitweise Pina im Théatre de la Ville und Forsythe auf Diaghilevs ehemaliger Bühne gegenüber im Chatelet gastierte) wovon letztendlich auch die Münchner Oper, besser das Bayerische Staatsballett profitiert hat. Womit ich doch den Weg zurück zur Ballettwoche gefunden habe ...
Es gab kurz nach der eben angesprochenen Vorstellung ein Symposium in einem der Ballettsäle des Staatsballetts gleich neben dem viel berühmteren Münchner Hofbräuhaus mit den unzähligen Touristen. Hier wurde wie bei Theater- oder Tanzwissenschaftlern üblich, möglichst trocken über Pinas Arbeit und die Rezeption ihrer Werke berichtet. Lediglich der Abschluss hat mir Spaß gemacht, denn Eva Elisabeth Fischer, die gefürchtete Rezensentin der Süddeutschen Zeitung, interviewte einige Protagonisten von „Für die Kinder gestern, heute und morgen“, was durchaus auch für einen Insider immer wieder aufschlussreich sein kann: Was die Tänzer denken, wenn sie eine solch fremde Materie erarbeiten und, dass sie offenbar eine Entwicklung durchmachten, die ihnen bei der Interpretation auch von Autoren anderer Stücke helfen wird, sich mit dem Subtext auseinanderzusetzen, den alle guten Choreografien haben müssen. Man muss den Tänzern und Tänzerinnen nur eine Chance geben sich zu entwickeln ...
Aber wer hat schon so viel Zeit in einem normalen Stadttheater – wenn ich das mal nebenbei bemerken darf. Auch das Staatsballett kann sich das im Normalfall nicht leisten: eine Probenzeit von anderthalb Jahren! – wenn auch mit Pausen. Rolf Liebermann der Intendant der Pariser Oper hatte daher die Idee oder machte sie sich zu eigen, ein Dutzend Tänzer abzuspalten zu einer Groupe de Recherche, was bei 120 Tänzern leicht denkbar ist, aber wohl kaum bei der Hälfte, wie in Deutschland üblich, wenn man weiter die Originalchoreografien der Werke des klassisch-romantischen Repertoires spielen will. Eine Ausnahme macht da das Staatsballett in Berlin, das schon heute eine Art hundertköpfige Groupe de Recherche zu werden droht.
Zurück zu Pinas Werk, das ich vor allem nach der Pause sehr genossen habe, weil es kurzweiliger als der erste Teil ist und durch Anhäufung von sehr reizvollen Soli nacheinander fast zu einer zeitgenössischen Gala wird. Aber diese Tänzer tanzen mit einer derartigen Hingabe, die ihresgleichen sucht. Und dann habe ich noch einen Gedanken im Kopf, der mich den ganzen Abend nicht losgelassen hat: Die Gefahr dieser detailgetreuen Übertragung eines Stückes auf neue Interpreten ist nicht ungefährlich und hat mich, auch wenn man das kaum vergleichen kann, an die Praxis des Royal Ballet in London erinnert, wo die Choreografien von einer Ballerina an die andere so weiter gegeben wurden und zu meiner Zeit sogar die kleinen Mädchen der Royal Ballet School schon die Manierismen, wenn man das so nennen darf, einer Margot Fonteyn in Gehabe bis zur Schminke übernahmen. Natürlich habe ich die Originale hinter den jungen Münchner Tänzern gleich erkannt und Joana de Andrade, die Nachfolgerin von Nazareth Panadero schien mir sogar die Stimme und die Diktion der Interpretin gesucht und gefunden zu haben, was sicherlich ein besonderes Talent ist, aber wie gesagt, nicht unproblematisch ...
Ehe ich den ersten Teil meiner Ballettwoche abschließe, noch ein paar Sätze über Nordhausen, womit ich begann. Die Schwächen der Vorlage habe ich schon erwähnt, die ja aber eher stilistischer Art sind, aber die Herangehensweise der Regisseurin Bianca Sue Henne und der Choreografin Jutta Ebnother (Wörle), konnte mich nicht überzeugen. Es fehlt mir eine stringente Personenführung und das Ganze ist für mich eher eine sich unangenehm anfühlende, weichgespülte Darstellung der damaligen Situation im KZ. Nicht zu diesen schwachen Momenten zählen die Auftritte und Ergänzungen mit Puppen und den dazugehörigen Texten, die aber leider auch nicht über Liebhaber-Theater hinauskommen. Aber da wird überzeichnet, wie es so ein Thema braucht und davon wurde ich restlos überzeugt, z. B. der Operateur als lebensgroße Puppe, während die Schilderung von der zwangsweisen Sterilisation spricht – auch wenn es „nur“ eine Doppelung ergibt.
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