Jugendlich frisch
Bosl-Matinee an der Bayerischen Staatsoper
Zu jeder BallettFestwoche des Bayerischen Staatsballetts gehören Matineen der Ballettakademie München/ Heinz-Bosl-Stiftung. Die diesjährige begannen 20 Studierende mit der Uraufführung von „Jit“ (Just in Time). In der Choreografie von Kinsun Chan repetieren sie in blauen Overalls mechanische Arbeitsprozesse im Akkord. Der genormte Takt kollektiver, scharfer Bewegungen führt zum individuellen Identitätsverlust, in dessen Verlauf sich die Tänzer immer roboterhafter bewegen, bis nach einem Wechsel in der Musik von Josh Ralph und Michael Nyman mit dem Einsatz der Streicher ein Mann und eine Frau in eine Beziehung finden und sich bei ihnen die Formung durch die schöne Sprache der Danse d´école und der wechselseitig füreinander sorgende Partnerbezug einstellen. Die bisher strenge Anordnung der Arbeitstische wird kurzzeitig aufgelöst, es kommt zu komischen Szenen wie auch zu organischeren Soli und Ensembletänzen. Doch die Zwänge der zum Bewusstsein ihrer selbst gelangenden Menschen bleiben, treiben sie zum Arbeitskampf. Mit seinem modernen Tanz-Idiom fand Gastchoreograf Kinsun Chan immer neue Bilder für den Widerspruch zwischen Menschlichkeit und effektiver Fließbandarbeit, wofür das Publikum begeistert applaudierte, denn: So dicht am Puls der Zeit tanzte die Ballettakademie noch nie.
Mit „Luce/Licht“ von Ivan Liška präsentierte das BSB II die zweite Uraufführung dieses Sonntags. Sechs junge Männer in blauen Hosen und sieben junge Frauen in blumenbunten Trikots wecken Assoziationen an Morgen- oder Frühlingslicht. Zur neckisch wechselnden Musik von Hugues Le Bars und Julia Wolfe folgt ein neoklassisches Solo: Aus Positionen des akademischen Tanzes entfaltet eine Tänzerin ihren Körper mit der Freude an ihrer Bewegung im Raum. Das geschieht behutsam, ist aber voller Atmosphäre, liebenswert. Dann sucht und findet ein männliches Sextett mit agonaler Kraftentfaltung in Sprüngen und Pirouetten seinen Besten. Zwei Mädchen dagegen vergewissern sich ruhig des Bodens, auf dem sie sich, mittlerweile auch als Trio, in heiterer Gemeinsamkeit entfalten können. Männliche und weibliche Attitüde finden sich schließlich in Tänzen von vier Paaren zusammen. Damit gelang Ivan Liška ein schön komponierter Bilderbogen zur typischen Entwicklung junger Tänzer, in dem Talente, auf die er als Direktor der Junior Company bereits stolz sein kann, ihre gute Technik zeigten.
Um den Blick auf die Tanzausbildung zu erweitern, waren Studierende der Ballettschule des Hamburg Balletts zunächst mit einem Ausschnitt aus John Neumeiers „Des Knaben Wunderhorn“ eingeladen. In dem ausgewählten Duett „Wo die schönen Trompeten blasen“ kam es darauf an, die von Neumeier zu Gustav Mahlers Musik höchstsensibel choreografierten Emotionen auszudrücken. In der Konzentration auf minimalistische Bewegungen mit ihrem seltenen Auflodern blieb diese Vorführung einer Langsamkeit, die in die Seele blicken lässt, in ihrer vollen Länge spannend. Sie ließ an Alysha Martignago und William Dugan exemplarisch erkennen, wie noch junge Tänzer zu Persönlichkeiten werden, die das tragen können.
Nach der Pause tanzten Isidora Marcovic und Simon Jones vom BSB II als Münchner Erstaufführung rasant und virtuos das Duett „Love Therapy“ des Gastchoreografen David Russo. Sie mit hohen Beinen und starke Extensionen und er, drehfreudig und sicher in allen Balancen, waren auch in leidenschaftlichen Bodensequenzen ausdrucksstark. Russos tänzerisch gesteigerter Beziehungs-Clinch spart an reflektierenden Elementen nicht und hielt trotz der einen oder anderen Länge das Interesse für dieses Paar wach.
In John Neumeiers „Petruschka“ zur Musik Igor Strawinskys zeigten drei Paare von der Ballettschule des Hamburg Balletts, deren Leiterin Gigi Hyatt dies im Gespräch mit Ivan Liška kurz kommentierte, wie man als Puppe lebendig wird. Neumeier hat die Elemente puppenhafter Bewegungen in einer anspruchsvollen Struktur so angeordnet, dass die Architektur seines Stückes überzeugt. Phantasiereichtum entfalten der anschließende Pas de deux sowie die aus den Ensembletänzen hervorgehenden Solovariationen, von den Hamburger Junioren musikalisch und tänzerisch auf hohem Niveau dargestellt.
Jan Broeckx, der Leiter der Münchner Ballettakademie, choreografierte „Run“. Dieses Finale entsprang aus dem Rennen von Gruppen mehrerer Jahrgänge von Studierenden, die schon aufgrund ihrer hohen Anzahl eine große Kraft entfalteten, und war ein starkes Statement zum Selbstverständnis der Ballettakademie.
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