So stirbt eine Primaballerina
Ein Nachruf auf Ludmilla Naranda
„Frankfurt Diaries“ vom Gärtnerplatz-Ballett in der Reithalle in München
Bitte ein Stück von William Forsythe! Dieser Wunsch erfüllt sich für große, gut budgetierte Ensembles wie das Ballett der Pariser Oper oder das Bayerische Staatsballett – kaum für kleinere Truppen. Immerhin konnte jetzt Karl Alfred Schreiners Gärtnerplatztheater-Tanzensemble in der Reithalle mit der Münchner Erstaufführung von Forsythes international gerühmtem „One flat thing, reproduced“ (2000) aufwarten. Den Prolog dazu, unter dem Titel „Frankfurt Diaries“, kreierten Antony Rizzi, Georg Reischl, Christopher Roman, Michael Schumacher und Allison Brown, ehemalige Mitglieder von Forsythes Ballett Frankfurt (1984-2004) und der ab 2005 folgenden Forsythe Company. Euphorischer Jubel am Ende – in den, wenn auch mit Bedauern, nicht jeder einstimmen konnte.
Ganz legitim, dass man in die demokratische Arbeitsweise des großen US-Tanzerneuerers Forsythe einführen wollte: Seine Tänzer waren am Entstehen der Stücke immer kreativ beteiligt, konnten sich gerade dadurch zu eigenständigen Choreografen entwickeln. Aber hier dem nur 17-minütigen „One flat thing, reproduced“ – einer hochkomplizierten Versuchsanordnung mit 20 Tischen – eine langwierige dröge Lecture-Demo voranzustellen, das geht doch sehr an Forsythe vorbei. Schmerzhaft.
Aus den „Frankfurter Tagebüchern“, übersetzt: aus Erinnerungen heraus wird nachskizziert, zum Teil dabei auch (absichtlich?) ins Lächerliche driftend, wie durch ungefähre Andeutungen des Masterminds Bewegungen von den „Co-Kreierenden“ gefunden werden. Und dann demonstrieren immer wieder einzelne Tänzer, kleine Pulks und große Gruppe die bis zur Unkenntlichkeit postmodern dekonstruierten Klassik-Vokabeln. Permanent winden, krümmen, verbiegen, verschrauben und verklammern sich Körper an verschiedenen Stellen der Bühne. Klar: Schreiners Tänzer können das alles: kippend, drehend, fallend, solo oder mit Partner(n), und zwar so, als seien sie aus einem neuartigen nie kaputtbaren Elasto-Kunststoff.
Abgesehen von der heute schon selbstverständlichen Tanz-Virtuosität, ist diese Gemeinschaftsarbeit der Ex-Forsythes eine übersättigende Anhäufung und Wiederholung von Werkstattmaterial, aus dem nichts Künstlerisches heraussticht. Vor allem: es fehlt das, was Forsythe eindringlich von sich selbst forderte, was seine guten Stücke interessant machte: eine spannende Struktur! Fünf Choreografen, im Grunde „zu viele Köche“, haben hier ihre Beiträge zusammengestoppelt, 75 Minuten lang und – very langweilig. Daran ändert auch wenig die schachbrettartige Showbiz-Choreografie für die ganze Truppe in hinten weißer, vorne roter Froschmontur – fast ein Tanz-Comic, der offensichtlich anspielen will auf Forsythes freche Pflege des kindlichen US-College-Humors und auf seine Ausflüge in reines (Musical-)Entertainment.
Dann der „Hauptgang“ des Abends: „One flat thing“. Durch das Mehrfach-Hindernis von fünf Reihen à je vier Tischen ist ein ganz eigenwilliger „Table Dance“ entstanden. Was Forsythe und seine Tänzer im Jahre 2000 in Improvisations-Verfahren ausgeklügelt haben, muss uns nicht kümmern. Was man sieht, sind 14 Tänzer, die sich, umdröhnt von Tom Willems' Klang-Geräusch-Kulisse, in rasendem Tempo zwischen den Tischen, darauf, darüber und darunter bewegen: springend, kreiselnd, rutschend, sich gegenseitig schleifend. Fürs Auge ein phrasiertes Perpetuum mobile aus behenden Körpern, mit super Sensoren zur Vermeidung von Kollisionen mit den Kollegen und den weit härteren Tischkanten.
Für Forsythe war diese Hindernis-Choreografie sicher ein fruchtbares Experiment, für Tänzer ist sie eine hochgradige Präzisionsschule, für den Zuschauer ein nervenkitzelndes Erlebnis. Ob es wirklich Tanz ist und nicht nur mathematische Artistik, bleibt die Frage.
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