Pflanzen als Inspirationsquelle
Das „Flower-Power-Festival“ in München zeigte eine Serie, die so gar nicht geplant war.
Ein betörender Beginn eines Stückes: Nur wenig Licht lässt den hellen Tanzboden leuchten. Rechts hinten auf dem Podest blitzt das Metall zweier Riesenschlagzeuge. Ein Kerl in grauer Jeans und Shirt, barfuß, durchläuft in der Stille ein, zwei, drei Bewegungen am Boden. Verschiebungen und sanfte Umschichtungen des Körpers, lange Beine, das reicht. Wenig später betritt ein zweiter die Arena. Es wiederholt sich synchron dieselbe Bewegungssequenz. Dann ein dritter, ein vierter, bis die Gruppe, auf acht, teils bärtige und langhaarige Männer angewachsen ist. Die Schlagzeuger, in ihrem Äußeren nicht anders als die anderen, setzen mit zarten Becken- und Zimbelklängen sowie Klopfschlägen ein. Ohne Unterbrechung setzt sich der Tanz fort. Drehungen, Bodenrollen, am Boden liegen, einfache Bewegungen der Gliedmaßen folgen. Zu Beginn eher eine zeitgenössische Tanzsprache, finden sie allmählich zu den bekannten Formationen und Schritten des südeuropäischen Volkstanzes auf dem Dorfplatz, wenn die Nächte noch heiß sind und sich die dionysische Lebensfreude Bahn bricht. Die eine Hand auf dem Rücken, die andere über die Schulter des Partners gelegt, oder schlicht sich an den Händen oder sich an den Flanken haltend, finden sie hüpfend, schreitend und schleifend zu immer neuen Linien, Paarungen, Gruppierungen. In der Mitte des Stückes dann, natürlich, der Solotanz, während die anderen sich am Boden versammeln und zusehen, bis sie es nicht mehr aushalten und wieder, einer zum anderen, zur Gruppe anwachsen. Explosiv nun die Drums, laut und den Betrachter in die eigene Trance hinein schlagend. Virtuos bringen die Tänzer, Derwische Europas, immer wieder neue, scheinbar ungeordnet wirkende Strukturmuster aufs Tableau, eine Choreografie, so raffiniert hergestellt und ehrlich getanzt, so echt und so menschlich achtungsvoll und zärtlich unter den Männern, bar jeder Homoerotik, dass man sich kaum satt sehen kann.
„Nach einer wahren Geschichte … "d'après une histoire vraie“ nennt der französische Choreograf, Rockmusiker, Modedesigner und international gefragter Dozent Christian Rizzo sein 2013 uraufgeführtes Stück Tanz, das ab sofort der Liste der Highlights des Dance-Festivals zuzurechnen ist, und lässt im Programmheft wissen, dass eine 2004 nach einer Vorstellung in Istanbul auf seine Bühne springende Männergruppe ihn dazu inspiriert habe. Die Männer tanzten demnach wohl einen kurzen Volkstanz und verschwanden wieder. Die über den Titel bewerkstelligte, leichtfüßige, ironische Selbsteinordnung des Stückes in die Geschichte des Bühnentanzes, die mit dem Handlungs- oder Erzählballett einen Hegemon innerhalb der Stile und Formate aufweist, macht das Stück noch sympathischer. Denn erzählt wird hier nichts, außer der Erinnerung an dieses Erlebnis Rizzos in Istanbul, daran, was er daraus künstlerisch gemacht hat und was der Betrachter spürt, fühlt und sieht. Sinnlich Tanz, endlich auch gelebt.
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