„Across context“
Start des International DANCE Festival 2025 in München
Marcos Morau erstmals in München zu Gast beim International DANCE Festival
Von Carlotta Confalonieri
Ein Sensenmann führt die Besucher*innen in den Saal, ein silbernes Kreuz als Schleppe hinter sich herziehend. Dunkle Schatten bewegen sich durch den spärlich beleuchteten Raum, die Atmosphäre ist gespannt. Der Geruch von Weihrauch erfüllt die Sinne und alles wird in einen dichten Nebel gehüllt. Was geschieht, wenn Stillstand zum Zustand wird? Wie inszeniert man den Tod, ohne ins Klischeehafte oder Pathetische zu verfallen? Marcos Morau, „Shootingstar“ unter den zeitgenössischen Choreograf*innen und Leiter der Kompanie La Veronal, formuliert in seinem „Totentanz“ eine Antwort auf diese Frage. In einer Zeit, in der das Gefühl der ungewissen Zukunft sich in jedem Lebensbereich, ökologisch, gesellschaftlich, aber auch politisch verbreitet, setzt er sich mit einer existenziellen Problematik auseinander. Zwischen Dekonstruktion und Hoffnung, entfaltet sich ein Moment verstörender Schönheit. Ein kraftvolles Bildtheater, welches den menschlichen Körper und seine Fragilität ins Zentrum rückt.
Archaische Thematik
Inspiriert von dem mittelalterlichen Motiv des „Danse Macabre“, behandelt Marcos Morau dieses Thema in seinem Werk mit beeindruckender Direktheit. Die Auseinandersetzung mit unserer Sterblichkeit ist ein immer wiederkehrender Stoff in der Geschichte der Menschheit. Gnadenlos konfrontiert Morau die Zuschauer*innen mit dem, was sie sind und verkörpern. Eine Kritik an Konsum, Kapitalismus und Gesellschaft. Ein Aufschrei in Anbetracht des Grauens in der Welt. Diese Inszenierung lässt Gänsehaut verspüren.
Der Raum wirkt kühl, geometrisch und leer. Drei Leichen liegen parallel zueinander, doch langsam regt sich eine. Zunächst sind die Bewegungen der Tänzerin Marina Rodríguez schwerfällig, zuckend, fast puppenhaft: ein Körper zwischen Leben und Tod. Die Reduktion der Bewegungen verleiht jeder auch noch so kleinen Geste Gewicht. Fast geisterhaft nähren sich Ignacio Fizona Camargo, Fabio Calvisi und Valentin Goniot. Liebevoll tragen sie die zwei Leichenpuppen durch den Saal. Drei apokalyptische Mönche bewegen sich ruckartig im Takt der Glockenschläge. Durch Körperkontakt werden die Zuschauer in das Geschehen mit einbezogen, sie verlassen ihre Rolle als Publikum und werden Teil eines größeren Ganzen. Das Ensemble arbeitet mit beeindruckender Präzision und mitreißender Gefühlsstärke. Sie berühren, erschrecken und hypnotisieren zugleich. Mitten in diesen abstrakten Bewegungen, in diesem Kampf gegen einen unsichtbaren Widerstand, blitzen Momente auf, in denen das Leben zurückkehrt, in denen Bewegung zu Kommunikation wird. Die Tänzer Ignacio Fizona Camargo und Fabio Calvisi spiegeln ihre Bewegungen auf gegenüberliegenden Seiten eines aus LED-Stangen komponierten Kreuzes. Deformierte, entfremdete Körper erzeugen Unbehagen, ohne je ihre Würde zu verlieren. Es sind fragile, zutiefst menschliche Wesen, die sich im Raum bewegen und miteinander in Kontakt treten. Der Saal wird Schauplatz eines gemeinsamen Sterbens, eines apokalyptischen Tanzes.
Gewalt, Leid und Tod
Die Leinwand flackert auf, das Grauen der Welt wird sichtbar. Das Publikum reagiert betroffen, manche wenden sich ab, andere starren wie gebannt. Kurze Ausschnitte von Krieg, Hunger, Leid und Schmerz. Politiker an Redepulten, Kinder unter Häusertrümmer begraben. Niemand bleibt bei solchen Bildern unberührt. Morau zeigt in seiner Projektion die abscheuliche Seite des Konsumismus, des Menschen und unserer Gesellschaft. Eine schonungslose Anklage an unserer Lebensweise und Moral, den Verlust von Empathie und Menschlichkeit.
Morau zwingt zur Reflexion über den Zustand der Gesellschaft und die Zerbrechlichkeit unserer Lebensart. Das Ende gleicht dem Anfang, den Schreien eines Neugeborenen und zwei Leichen auf dem Boden. Zwischen den körperlichen Darstellungen und den visuellen Eindrücken werden die Zuschauer*innen zum Nachdenken und Innehalten gebracht. „Morgen ist die Frage“ so der Untertitel. Das Stück fordert die Auseinandersetzung mit einer Zukunft, deren Scheitern wir selbst herbeiführen und deren Rettung ebenso in unserer Hand liegt. Eine anspruchsvolle Inszenierung, die das Publikum dazu zwingt, sich mit seinem eigenen letzten Tanz auseinanderzusetzten. Ein Erlebnis was alle Gefühle beansprucht, ein stiller Appell an unsere Menschlichkeit.
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Dieser Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung „DANCE – Schreiben über Tanz“ am Institut für Theaterwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München im Sommersemester 2025 unter der Leitung von Anna Beke.
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