Jenseits von schwarz und weiß
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Standing Ovations für Preljocaijs „Le Parc“ beim Bayerischen Staatsballett
Mit einem schweizer Uhrwerk kann sich „Le Parc“ mühelos messen lassen. Was den Tänzer*innen am vergangenen Samstag abverlangt wird, ist weit mehr als Präzision. Es geht um das Werk, das im Jahr 1994 in Paris – mit dem aktuellen Ballettdirektor des Bayerischen Staatsballetts Laurent Hilaire und Isabelle Guérin in den Hauptrollen - uraufgeführt und gestern an der „Bayerischen Staatsoper“ vom „Bayerischen Staatsballett“ seine Münchner Premiere feierte.
Diese Präzision, die eines schweizer Uhrwerks, ist auch in dieser unverwechselbaren Formensprache des französischen Choreografen albanischer Abstammung Angelin Preljocaj Bedingung und Ausdruck zugleich, obwohl es sich hier nicht nur um klassisches Ballettvokabular handelt. Preljocajs Choreografie basiert zwar auf klassischen Formen, Positionen, virtuosen Drehungen und atemberaubenden Sprüngen. Die Kreation insgesamt ist im Grunde dem zeitgenössischen Tanz verpflichtet, allerdings immer mit der Idee, Geschichte und Gegenwart miteinander zu verbinden und den Freiheitsgedanken in den Vordergrund zu stellen. Getanzt wird barfuß, Staccato-Bewegungen und fließende Passagen kontrastieren einander. Vor allem werden Preljocajs Judo-Einflüsse immer wieder sichtbar.
Eröffnet wird das dreiaktige Werk, das laut Programmheft die Phasen der „galanten Verführung“ (im Zeitalter der Klassik) in einem sommerlichen französischen Schlosspark thematisiert, mit dem Auftritt der vier Gärtner, die in dieser Produktion eine Schlüsselposition einnehmen, den Auftakt zu jedem Akt und schließlich das Ende des Werkes in zentraler Position auf der Bühne bilden. Sie haben die Funktion, die Uhr des vergangenen Tages auf Null zu stellen, die Skandälchen der Nacht ‚wegzuharken‘ und den Humus für einen neuen Tag mit neuen Ereignissen, neuen Liebschaften gar? zu bereiten. Nicht ohne Grund hieß es in der instruktiven Einführungsveranstaltung sinngemäß bezogen auf die Rolle der Gärtner: „Wir sind das Uhrwerk der Liebe“ – Ende und Anfang zugleich. In diesem Sinne und auch tänzerisch überzeugen diese Tänzer*innen, denen es auch gelungen ist, die musikalischen Herausforderungen der elektronischen Komposition zu meistern, die nicht auf Rhythmus und Metrum angelegt ist.
Zwischen erster Begegnung, Widerstand und Hingabe bewegt sich - im wahrsten Sinne - das emotionale Spektrum. Inspiration zu dieser Arbeit liefert unter anderem die imaginäre Landkarte der Gefühle „Carte de Tendre“ aus dem 17. Jahrhundert, aus der „Galanten Zeit“.
Wie kaum anders zu erwarten, dauert es in „Le Parc“ nicht lange, dass es am Abend oder in der Nacht zu Bäumchen-Wechsel-dich-Spielchen im nächtlichen Barockgarten kommt. Dabei erlebt das Publikum die Techtel-Mechtel aller Arten nicht in einem naturgetreuen Schlosspark. Es ist das Wesen dieser Kreation, mit Übertreibungen oder Klischees wie stilisierten Buchsbäumen aus Stahl, überdimensionierten wie prachtvollen, ausladenden Kleidern auf Charakteristika der „Galanten Zeit“ mit modernen Mitteln hinzuweisen, was sich auch in der differenzierten Tanzsprache niederschlägt. Symmetrien, Formen bilden den Kontrapunkt zu fließenden Bewegungen des zeitgenössischen Tanzes. Die Choreografie lebt von Kontrasten und wohl dosierten Klischees als Stilmittel oder zum Teil überzeichneten Episoden. Das Spektrum reicht von „Ohnmacht“ über „Zarte Reize“ zu Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ bis hin zur „Eroberung“ zu Mozarts „Musikalischem Spaß“, mit einer Art Trostkuss für den Liebeskummergeplagten von seinem Freund, was die Zuschauer zum Schmunzeln hinreißt. Überhaupt hat der Kuss in Preljocajs „Le Parc“ einen besonderen Stellenwert: Im Unterschied zu Gustav Klimts Darstellung „Der Kuss“ bleibt es in der Choreografie offen bzw. es ist unsicher, ob der fliegende Kuss als Symbol für eine Liebesbeziehung - mit seinen Zentrifugalkräften - für die Ewigkeit bestimmt ist oder nicht. (Treff)sicher hingegen ist nicht nur die Auswahl der Musik, sondern auch die punktgenaue tänzerische „Landung“ im wahrsten Sinne zur Musik z.B. bei Klavierkadenzen – Chapeau. Das Publikum belohnt das Solisten-Liebespaar Madison Young und Julian MacKay und die exzellente Ballettkompanie sowie die Musiker*innen zu recht mit „standing ovations“.
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