Der Halloween-Effekt in uns allen
Jamine Ellis’ „Everything that’s Wrong with Me” im Münchner HochX
„Asymmetrical Encounters“ von Rosalie Wanka im Stream aus dem Theater HochX
Spontaner Einkaufsbummel? Vorbei. Die neue Losung lautet: Click & Meet. Im Veranstaltungssektor geht es ähnlich zu. Dort gilt die Devise „Klick & Schau“. Jede Begegnung zwischen Künstler*innen und Publikum muss schon seit Monaten rein digital bleiben. Dadurch verlieren Live-Inszenierungen viel von ihrem originären Flair. Selbstredend. Aber haben Theaterschaffende noch irgendeine Wahl?!
Als freie Choreografin hat sich Rosalie Wanka, die seit 2015 in München arbeitet, bereits fest in der hiesigen Szene etabliert. Gemeinsam mit ihrem argentinischen Kollegen Rodrigo Pardo erhielt sie vor zwei Jahren vom Kulturreferat ein Forschungsstipendium. Ihre Untersuchungen galten der Gegenüberstellung von zeitgenössischen Tanztechniken und argentinischem Tango. Recht ehrgeizig sollten damit zugleich Geschlechterrollen hinterfragt und Interkulturalitätsdiskurse geführt werden.
Ein ganzes Jahr verwendete die an der Ballettakademie München, der Ballettschule der Wiener Staatsoper sowie in Linz und Buenos Aires als Tänzerin ausgebildete Wanka darauf, die gewonnenen Erkenntnisse zu einer effektvoll schillernden TangoTanzTheater-Performance für insgesamt vier Interpret*innen kondensieren zu lassen. Das Gute daran ist ihr Versuch, Vorstellungen von Toleranz und zwischenmenschlicher Offenheit tänzerisch an den Hörnern zu packen, visuell ziemlich plakativ anzugehen. Stellenweise geradezu bilderbuchartig-frech.
Für die mit viel Texteinblendungen auf Deutsch und Spanisch, Videos und Projektionen fantastisch angereicherte und sehr ausdrucksstark gestaltete Bühne hat sich Wanka mit der Münchner Medienkünstlerin Manuela Hartel zusammengetan. Ein kluger Schachzug, der die nun unter dem Titel „Asymmetrical Encounters“ vorgestellte Produktion förmlich zum Leuchten bringt. Mal schrill, mal schräg oder düster-trübe. Immer in der Schwebe zwischen Kitsch und subtil hintersinnigem Humor.
Während im Vordergrund eine kampfsportartige Auseinandersetzung den stilübergreifenden Paartanz unterbricht, tummeln sich auf einer Blumenwiese im Hintergrund altbekannte Trickfilmfiguren. Biene Maja, Heidi, ihr Geißlein und Peter geben sich ein munteres Stelldichein. Unter dem Schriftzug „Weiss der Geier“ rutscht zudem Milkas lila Kuh ins Bild. Tanz und Sprache schaukeln sich hier gegenseitig auf – gnadenlos unterwandert von einem wilden Mix anderweitig sinnaufgeladener Bilder. Auch Diego Maradona, Evita Peron, Carlos Gardel und Aloisius, der Münchner im Himmel, lassen grüßen zwischen computergenerierten Blitzen und Rissen, verschneiter Gebirgslandschaft, Wasser- und Wolkenimpressionen.
Beständig wird der Zuschauende genötigt, die zahlreichen, im Unterbewussten weiterwirkenden Doppeldeutigkeiten zu durchschauen. Im Nachgang mag man über einen Wolpertinger sinnieren oder warum – kurz vor Schluss – der Kalauer „alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“ aufs Tapet gebracht wird. Inszenatorisch kommt jede Kleinigkeit bedeutungsschwer daher. Eine Masche, die sich innerhalb einer Stunde durchaus abnutzt.
Letztlich dient aber alles der Herstellung eines Gesamtkunstwerkeindrucks inklusive revuehaftem Spannungsbogen. Selbst parodistisch abgenutzte Klangfetzen aus Tschaikowskys „Schwanensee“, die in Federico Mansillas Soundkompositionen und Musikarrangements integriert sind, werden ebenso wenig ausgespart wie live in den Saal Geschmettertes aus der Zauberflöte. Dabei gelingt es dem Produktionsteam, jede auf Anhieb noch so absurd anmutende Szene bestimmten Parolen zuzuordnen. Der Zuschauer liest projizierte Schlagworte wie „Aug um Aug“ oder „Platzhirsch“ und die thematische Ausrichtung eines Duetts ist klar.
Zum internen Durchlauf Mitte Februar durften vier Besucher*innen ins Theater HochX kommen. Direkt an der Tanzfläche platziert wurde man von Wucht und Fülle gleichzeitig einströmender Reize aus Bild, Ton und physischer Tänzer*innenpräsenz schier überrollt. Ein umwerfendes Gefühl nach monatelanger Ausgehabstinenz. Nun muss sich die überbordende Qualität von „Asymmetrical Encounters“ im Stream beweisen.
Weitere Streaming-Termine:
26. und 27.3. – Tickets unter www.alternativateatral.com (argentinische Plattform)
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