„Duo“ von Nanine Linning. Tanz: M. Dilaghi & V. Segova

„Duo“ von Nanine Linning. Tanz: M. Dilaghi & V. Segova

Exzeptioneller Saisonausklang

„Duo“ von Nanine Linning in München

In einer Festspiel-Werkstatt-Premiere führen das Bayerische Staatsballett und Musiker des Bayerischen Staatsorchesters „Duo“ von Nanine Linning in der Münchner Reithalle auf.

München, 25/07/2019

Acht TänzerInnen – zum Greifen nahe. Auf ihren Hosen und Röcken türmen sich unzählige Stofflagen. Wellenförmig wie Höhenmarkierungen auf einer Landkarte. Fast lautlos, abgedämpft tröpfelnd breitet sich Klang aus. Ein spitzes Sirren legt sich darüber. Die Gruppe beginnt, sich voller Körperspannung langsam in zwei Reihen hintereinander über das noch unberührte Plateau zu arbeiten. Sie erzeugen eine Art Strömung, die auf eine weit entfernte, einzelne Tänzerin im körperfreigelegten Haut-Look zurollt.

Impuls und Nachklang – so läuft hier Bewegung ab. Das zeitgenössisch geerdete Vokabular von Nanine Linning, die im Rahmen der diesjährigen Festspiel-Werkstatt erstmals eine Produktion mit dem Bayerischen Staatsballett kreiert, bleibt im Gesamteindruck zweitrangig. Die 19 Tänzerinnen und Tänzer – allesamt aus dem Corps de ballet des Bayerischen Staatsballetts – werden aber trotzdem mächtig herausgefordert: In der bisweilen improvisatorisch anmutenden Choreografie spiegeln sich häufige Taktwechsel, Phasenverschiebungen, unterschiedliche Formabschnitte, ständige Wendungen und kanonische Wiederholungen der zugrunde liegenden Komposition. Nur die Stimme fehlt. Sie wird erst im kommenden Winter eine Rolle spielen, wenn Hans Abrahamsens erste Oper „Die Schneekönigin“ in Kopenhagen uraufgeführt und anschließend an der Bayerischen Staatsoper in englischer Fassung herauskommen wird. Bei der szenischen Premiere seines einstündigen Kammerensemblestücks „Schnee“ (eine Auftragsarbeit des Westdeutschen Rundfunk für die Wittener Tage neuer Kammermusik aus 2008) befindet sich dennoch alles im Dialog: Musik und Tanz, Licht und Raum, Architektur und Bewegung.

Der Vorgeschmack auf den von Natur und Landschaften geprägten Klangkosmos des dänischen Komponisten in der Münchner Reithalle mit ihren archaisch weitläufigen Ausmaßen ist zugleich ein imposantes wie auch intimes choreografisches Erlebnis. Nicht, weil sich Abrahamsens strukturell komplex gebaute „10 Kanons für neun Instrumente“ einfach in körpersprachlichen Ausdruck übersetzen lassen. Das Gegenteil ist der Fall. Sondern aufgrund der originellen Bühnensituation, die sich die niederländische Choreografin gemeinsam mit dem in London lebenden Künstler Alexandros Tsolakis (Bühne/Visual Arts) ausgedacht hat.

Der Titel des Abends „Duo“ erschließt sich, sobald man den Aufführungsort betritt. Zwei große rechteckige Tanzflächen kommunizieren miteinander über fast die gesamte Hallenlänge hinweg – unterbrochen durch eine quadratische Versenkung. Dort nehmen Dirigent Gregor A. Mayrhofer, die neun hoch konzentrierten MusikerInnen und ein Teil des TänzerInnenensembles Platz (als Einspringer darunter: Linnings choreografischer Assistent Kyle Patrick). Das Publikum sitzt rundherum. Der Tatsache ausgeliefert, dass es schier unmöglich ist, alles zu erfassen, was sich parallel und/oder im steten Wechsel auf beiden Aktionsfeldern abspielt. Formal stark. Ohne jeglichen erzählerischen Faden.

Manchmal synchronisieren sich die TänzerInnen, nehmen Bewegungsabläufe ihrer KollegInnen von gegenüber auf. Oft aber unterscheidet sich, was auf den zwei Bühnen passiert. Mit Zwischenpausen im Musiker-Carré agieren die neun Frauen und zehn Männer als Gruppe, in Pas de deux-Konstellationen oder Trios. Sie sorgen für faszinierende Bildmomente, zu denen maßgeblich auch die im 3-D-Drucker entwickelten Kostüme der in Antwerpen ansässigen Modedesignerin Irina Shaposhnikova beitragen. So durchzieht das Schlussbild eine Linie von acht Paaren. Je vier mittig aufgefädelt, wobei die Herren sich im verlöschenden Licht mit geschulterten Damen um die eigene Achse drehen.

Wenn dann noch der Boden per Projektion in ein wirres Gekräusel aus Linien getaucht wird, kippt man glatt aus der Zeit, wird atmosphärisch gefangen genommen. Aber keine Angst: Das subtile Lichtkonzept von Benedikt Zehm streichelt den Zuschauenden, leuchtet die Schönheit der durchtrainierten InterpretInnen heraus und suggeriert sogar den Rhythmus von Tag und Nacht. Selten wurde das Zyklische der Natur derart stimmungsvoll in eine Einheit aus Musik und Choreografie gefasst. Eine tolle Produktion, die aus einem einzigen Blickwinkel heraus Nähe und Entfernung erfahrbar macht. Eigentlich zu schade für nur drei Aufführungen.
 

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