Zwischen Komik und Eleganz

16. Internationale Aids-Tanzgala in Regensburg

Zweifellos hat das Benefizprojekt ein Niveau erreicht, die eine noch größere öffentliche Wahrnehmung verdient hätte. Im ausverkauften Velodrom feierte das Publikum acht europäische Kompanien und Solochoreografien.

Regensburg, 13/11/2018

Den Kunstschnee, der am Ende der Aids-Tanzgala leise auf die Bühne des Velodroms rieselte, hätten sich manche Zuschauer direkt von oben durch eine Dachluke gewünscht. Selten war es so warm, fast schon stickig bei einer ausverkauften Vorstellung in dem epochemarkierenden Gebäude. Dennoch wurde die mittlerweile 16. Auflage dieses „mehr als repräsentativen Überblicks über die europäische Tanzszene“, wie Moderator Peter Jungblut hervorhob, mit viel Beifall, Zurufen und wildem Getrampel gefeiert. Hausherr Jens Neundorff von Enzberg wies in seiner Begrüßung bereits auf die notwendige bevorstehende Sanierung hin.

Mit acht Choreografien und über dreieinhalbstündiger Dauer war die in Bayern einzigartige Benefizveranstaltung zur Bekämpfung der Aids-Epidemie so umfangreich wie selten. Und auch wieder ähnlich erfolgreich wie die vergangenen Jahre, wo jeweils rund 25000 Euro für Aidshilfe-Projekte zusammengekommen sind. Thematisch standen heuer Beziehungskisten, um es im saloppen post-68er Slang auszudrücken, und Selbstbespiegelungen im Mittelpunkt des Abends.

Unpolitisch war das Ganze dennoch keineswegs, auch wenn persönliche und innere Auseinandersetzungen mal köstlich ironisch wie bei der Gotra Dance Company oder ernst wie beim Duo vom Hessischen Staatsballett im Vordergrund standen. Wie ein feministisches Statement ließ sich das Solostück „I fought Piranhas“ des polnischen Choreografen und Kompanie-Leiters Maciej Kuźmiński lesen, zornig und mit trotziger Wut getanzt in einem langen weißen Ballkleid von Monika Witkowska. Allerdings nimmt die rasende Choreografie nicht auf die in Wirklichkeit keineswegs so blutrünstigen Amazonasfische, sondern auf die „Schwarzen Proteste“ polnischer Frauen gegen den aggressiven Revanchismus der PiS-Regierung Bezug.

Stieß diese Choreografie auf eher verhaltene Resonanz, vielleicht auch wegen eines provokativen Aktes, mit dem sich die Tänzerin selbst das Maul mit einem Mikrofon stopfte, bekam Katharina Wunderlich für ihre eigene Choreografie „Insomnia“ brausenden Beifall. Mit ihrer eckig-sperrigen Auseinandersetzung um das Phänomen Schlaflosigkeit, in die sie Elemente des Breaking und des Streetdance einbezogen hat, bewegte sie sich mit zuckenden Händen und Beinen bis an den Rand des Wahnsinns im gnadenlosen Räderwerk der neoliberal interpretierbaren Zeit. Ihre atemberaubende Performance zu Musik ihrer Schwester Caroline Wunderlich ergänzte sie durch plakative Videoeinspielungen.

Einem anderen Räderwerk, dem „der vier Phasen einer Beziehung von Verliebtheit bis zur Apathie“, wie Jungblut es fast mitleidig süffisant beschrieb, näherten sich die Niederländer Duo Maïte Guérin und Joost Vrouenraets, der das ergötzliche „Koffie verkeerd“ auch choreografiert hat. Ein herrlich getanztes ausdrucksstarkes Vergnügen, das davon lebte, dass aus viermal gleichem Einstieg eine jeweils völlig andere Dynamik bis zum bitteren, sprach- und bewegungslosen Ende erfolgte. Um jeweils unterschiedliche Formen der Beziehung und Begegnung ging es auch in drei weiteren Duetten: den Israelis Dor Mamalia und Dariusz Nowak mit „Into me, see“, der spanischen Kompanie Kor`sia mit dem frechen „Yellowplace“ und Mathieu Geffré Dance mit „What Songs may do“ – was Songs (mit uns) anrichten können.

Spüren die beiden aufregenden Tänzer Mamalia und Nowak zu ruhiger Klaviermusik von Beethoven mit scheinbar grenzenloser Bewegungskunst Momente einer zufälligen Intimität, von Nähe und Einsamkeit nach, müssen Angela Boix Duran und Mathieu Geffré erkennen, dass sie bei aller Liebe keineswegs im Gleichklang ticken. In der Simulation eines Konzertbesuches reagieren sie auf ein Lied von Nina Simone – Feelings – emotional ganz unterschiedlich, was ihre Beziehung massiv beeinflusst. Am Schluss mühen sie sich im rasenden Leerlauf mit einer Umarmung ab.

Zwischen slapstickartiger Komik, Angus-Young-Aufmachung und tänzerischer Rasanz warf das spanische Duo Antonio Rosa und Mattia Russo, als Kompanie Kor`sia, Fragen nach dem Zusammenleben, nach Harmonie und Abhängigkeiten auf. Dabei bedienen sie sich einer Leichtigkeit und hellwachen Selbstironie, die hierzulande nur selten anzutreffen ist – und das dann noch bei zwei schwulen Männern. Körper prallen aufeinander, der eine bietet dem anderen Halt und Sitz, unterschwellig zeichnet sich in der tänzerisch kraftvollen Begegnung eine wacklige Latenz ab.

Als einzige Kompanie des Abends präsentierte die hochklassige Regensburger Truppe von Yuki Mori „Silent Strings“, eine Choreografie von Simone Elliott, in der sich eine Tänzerin – hinreißend: Harumi Takeuchi – vergeblich gegen den Rest der Gruppe mit ihren Ideen durchzusetzen versucht. Die Choreografie ist ein Part eines tänzerisch interpretierten Enneagramms, einer neunteiligen Typenlehre, die als Thema bei der „Tanz.Fabrik!sechs“ Premiere hatte.

Den Abschluss, „krönend“ ist hier sicher gerechtfertigt, bildete das Hessische Staatsballett mit zwei Ausschnitten aus „Eine Winterreise“ (Choreografie: Tim Plegge) nach Franz Schuberts Dichtung. Ramon John, der erst eine Woche zuvor an gleicher Stelle den Faust Theaterpreis zugesprochen bekam, tanzte mit der ebenfalls bereits einmal nominierten Japanerin Sayaka Kado einen glanzvollen melancholisch-anrührenden Pas de deux voller Eleganz und Hingabe. Ein Höhepunkt sowohl in der tänzerischen Umsetzung der melancholisch-schwermütigen Innerlichkeit als auch in der Intensität des Suchens und Findens. Zweifellos hat das Benefizprojekt der AidsTanzGala damit auch ein Niveau erreicht, die eine noch größere öffentliche Wahrnehmung verdient hätte.

Seit 2003 gibt es die Internationale AidsTanzGala in Regensburg. Der scheidende Tanzchef Yuki Mori zeichnet seit seinem Beginn beim Theater Regensburg für die künstlerische Gestaltung der Benefizveranstaltung verantwortlich. Gemeinsam mit Ballettmeister Christian Maier hat er auch heuer wieder das Programm zusammengestellt.

Auch der Rundfunkjournalist und Autor Peter Jungblut konnte wieder als Moderator gewonnen werden.

Der Erlös wird 2018 wieder zweigeteilt: Der größte Teil fließt an die schon mehrfach unterstützte Kinder-Aidshilfe Südafrika in Kapstadt, wo das Kinderheim Elonwabeni betrieben wird. Ein kleinerer Teil, 2000 Euro, geht an den Notfallhilfefond der Aids-Beratungsstelle Oberpfalz (BRK).

 

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