Synchron getanzte Bankette
Gabriel Pitonis Tanzstück „Next To Me“ im Regensburger Antoniushaus
Sechs junge Choreograf*innen überzeugen mit Stücken zwischen Witz, Dramatik und sinnlichem Rausch beim Dance Lab 2.0
Ausgerechnet Bolero, hörte man beim letzten Stück von Dance Lab 2.0 im Theater am Haidplatz manche im Publikum innerlich seufzen. Bei einem der meist abgenudelten Orchesterstücke der modernen Musikgeschichte schwankte die Erwartung an Leander Veizis Choreografie „Irgendwo zwischen den Farben“ zwischen zweifelnd und hoffend. Was der aus Albanien stammende Tänzer-Choreograf mit fünf Mitgliedern der Tanzcompany dann allerdings auf die Bühne brachte, war ein regelrechter Rausch an Farben, Licht und tänzerischem Überschwang. Schon vor Ravel hatte es mit rhythmisch prägnantem Vokalsound von Meredith Monk und Hildegard Knefs „Für mich soll`s rote Rosen regnen“ begonnen. In den unterschiedlichen Musiken und darauf abgestimmten farbigen Kostümen und Licht bündelte Veizi seine persönliche „Symphonie der Gefühle“. Der gelegentlich grotesk-ironische Tanz, der herausfordernde Soloparts für Fatima López Garcia und Chih-Yuan Yang, Duette, vorwärtsdrängende synchrone Parts und einen roten Blütenregen enthält, entwickelte einen zunehmend sinnlichen Sog. Veizis Choreografie war eine von sechs Uraufführungen, die von Tänzer*innen des Theater Regensburg zum Thema Identitäten entwickelt worden sind. Für die Zuschauenden war es auch heuer eine Wundertüte mit überraschenden Eindrücken von der Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Ansätze und deren künstlerische Umsetzung.
Identitäten x 6
Einen direkten, charmant mit Humor gewürzten Ansatz hat Bérénice Durozey für „The Third Act“ gewählt. Anhand eines Textes der einstigen Fitness-Queen Jane Fonda, der anfangs zitiert wurde, beschäftigt sich die vergnügliche Choreografie mit dem Alter. Durch die gestiegene Lebenserwartung ist dieses heute viel länger, als vor wenigen Generationen. Zwischen Stehlampe und alten Schlagern schlurften und tanzten Chih-Yuan Yang, Win McCain und Vittoria Carpegna mit Gehhilfe und in Kittelschürze ein hinreißendes Stück aus Erinnerungen, Selbstfindung und Neusortierung. Eine liebevolle Auseinandersetzung, nicht unbedingt realistisch, aber anregend und mit überzeugender Lust großartig getanzt.
Mystik und eine Nähe zum Sein, die auch den Tod, das Vergehen und Wiedererstarken umfasst, vermittelte Pedro Henrique Ferreiras Solo „Mortal Loucura“ nach einem alten Sonett, das er selbst tanzte. Aus einem fantastischen Kostüm, eher Kostümberg (Barbara Wentz, Ramona Leukert, Salome Weinmann, Dieter Hedwig), der assoziativ an die Weltenesche Yggdrasil denken lässt, wächst der Tänzer mit kraftvoll gestischem Tanz zu neuer Blüte und Größe. Hauptsächlich auf ausholende Arme, Oberkörper und Kopf beschränkt, packt einen Ferreiras dramatisches Solo mit voller Wucht.
Leichter ging es die „Abendtänzerin“ von Momoe Kawamura an. Ermattet von der Arbeit, räkelt sich Kawamura in ihrem Solo im Feierabendsessel. Sie lässt sich von einem Apfel zum Reinbeißen verführen, betrachtet die Welt – die Zuschauenden – aus auf dem Kopf stehender Perspektive. Das Träge, Unentschlossene, Fragende verwandelt sich, als die im legeren Hemd Tanzende den herumliegenden Mantel überstreift und zielgerichtet die Bühne verlässt.
Nur wenige Minuten später ist die Japanerin, die nach der Spielzeit in ihr Heimatland zurückkehrt, erneut zu erleben. Frisch und selbstbewusst, als sei sie eben erst angekommen, steigt sie in Win McCains „Open Position“ in den imaginären Boxring. In einem herrlichen Fight, kommentiert von McCain, tritt sie bis zur völligen Erschöpfung gegen „The Young One“ (Chih-Yuan Yang) an. Eine schweißtriefende Parabel, getanzt voller Esprit und Wumms zu muskulöser Musik, deren Ende in Bitternis und Schalheit versinkt.
„Ein Stück über das, was war und nicht mehr ist“, nennt Vincent Wodrich seine Choreografie „14,5 Stunden“ mit Fátima López García, Leander Veizi und einem Kühlschrank. Aus dem steigt anfangs die „Erinnerung“ (Garcia) und beginnt ein atemberaubendes Duett über eine komplexe, verworrene Beziehung. Am Ende bleiben Fragen offen und ihm (Veizi) bleibt der Weg, sich selbst als Erinnerung im Kühlschrank frisch zu halten. Ob das gelingt?
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