Synchron getanzte Bankette
Gabriel Pitonis Tanzstück „Next To Me“ im Regensburger Antoniushaus
„BÜHNE FREI: Klappt bestimmt 24 & Insomnia“ im Theater Regensburg
„Macht hoch die Tür, die Tore weit...“, heißt es immer öfter beim Theater Regensburg. Das zum Bayrischen Staatstheater aufgestiegene Mehrspartenhaus öffnet seine Bühnen zunehmend freien Theatergruppen und anderen Kulturträgern für deren Veranstaltungen. Die Einnahmen gehen, nach Abzug weniger Kosten, an die jeweilige Kulturinitiative, praktisch als Startkapital für weitere Projekte.
Anfang Juni konnten das Tanztheater Annette Vogel und ein Kollektiv von drei freien Choreografinnen aktuelle Produktionen vorstellen. Vogel, die seit langem als Pädagogin und Choreografin mit Laien mit und ohne Behinderung arbeitet, präsentierte mit der inklusiven Tanzcompany „klapptbestimmt 24“ aus Regensburg zwei längere und zwei kürzere Stücke. Mit Witz und Chuzpe setzen sich diese intensiv mit Fragen nach Inklusion und deren Bedeutung für die Gesellschaft auseinander. Mit dem namengebenden Stück feierte die Truppe, der Profitänzerinnen wie Laien, Rollstuhlfahrende und auch sehr junge Menschen angehören, bereits 2021 Premiere.
In starken Bildern beleuchtet es offen und überzeugend die Defizite, die beim Umgang zwischen Menschen mit und ohne Behinderung häufig noch vorherrschen. Mit sichtbarem Schmunzeln wird der Anspruch verdeutlicht, der seitens des Teils der Gesellschaft ohne Behinderung im Umgang mit Personen mit Behinderung an den Tag gelegt wird. Dabei geht es um Nichtbeachtung, Ausgrenzung, ebenso wie um Annäherung und Zurückweisung. Nicht nur die Perspektiven, auch die Rollen werden in „The Other Side“ gewechselt, wenn sich Performer*innen ohne Behinderung plötzlich im Rollstuhl wiederfinden und Rollifahrende aufrechtstehend mit den anderen zusammen tanzen. Einerseits bewundert man die Hartnäckigkeit und Kraft, die es kosten muss, sich aus der Komfortzone des Gefährts herausreißen und kopfüber wieder hineinfallen zu lassen. Andererseits wird man als Zusehende*r mit der Frage konfrontiert, inwieweit man sich selbst auf andere verlassen würde und möchte.
Als billiger Spott könnte das „Krückenstück“ leicht (miss-)verstanden werden, wenn gelenkige junge Frauen in quietschbunten Jacken mit eben diesen Hilfsmitteln herumalbern, einknicken, stolpern und stelzen, als machten sie sich über Menschen mit Behinderungen lustig. Zusammen mit den gehbehinderten Tanzenden wird daraus ein faszinierendes kleines Lehrstückchen über Krücken als Waffe, Spiel- oder Werkzeug und natürlich – Stütze. Durchaus auch im übertragenen Sinn, greifen wir doch oft genug auch geistig und emotional auf Krücken zurück. Den Ausklang bildet eine köstliche Parodie auf die Konsumgesellschaft mit ihren glanzvollen Versprechungen.
„Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an“, rezitierte eine Offstimme Goethes „Erlkönig“ zu Beginn von „Insomnia – Die schöne Nacht“. Die Choreografinnen Ida Crusius, Eva Eger und Julia-Marie Gerard habe die Traumwelten einer schlaflosen Nacht in surrealen Figuren und Szenen zwischen Absurdität und latentem Schrecken buchstabiert. Ganz so düster, wie die magische Ballade, gerät die über einstündige Tanzperformance letztlich doch nicht. Es ist eher eine Aneinanderreihung von kurzen Clips und rätselhaft-komischen Szenen mit oft minimalistischem Bewegungsvokabular. In einer Mischung aus Alice im Wunderland, Triadischem Ballett und kafkaesker Unheimlichkeit rollen Schnecken mit Pauken auf dem Rücken durchs Bild. Boote schaukeln über die Bühne und ein grässlicher Frosch tanzt Samba zum Glockenspiel, das zwischen seinen Beinen klemmt.
Eine Frau im roten Kleid, eingezwängt in einem Metallgerüst aus Zwängen, Ängsten, Neugier und Entschlossenheit, stellt sich dieser traumhaft-surrealen Zwischenwelt vorbeihuschender oder hoppelnder Gedanken und Emotionen. Am feucht-nassen Schluss schwingt sich das Performance-Ensemble aus Figuren, Kreaturen und Instrumenten in ein somnambules Chaos ein und versackt in kollektivem Schlummer.
Nach dem spannenden Beginn zieht sich die Performance allerdings irgendwann ziemlich in die Länge, ohne dass sich „ein nachdenklicher Blick auf die Facetten einer kraftvollen Weiblichkeit“ einstellt, wie es im Textheft heißt. Das mag vielleicht auch am männlichen Blick des Kritikers liegen, der statt des apostrophierten Humors zu entdecken, ein Gähnen nicht ganz verkneifen kann. Letztlich zerfasert die mit viel Fantasie und kreativen Ideen entworfene „schöne Nacht“ zu sehr in clipartigen Bildern, die ohne ausreichende Unterfütterung durch tänzerischen Ausdruck aneinandergereiht sind.
Mit Begeisterung reagierte das Publikum im fast voll besetzten Antoniushaus auf beide Vorstellungen und revanchierte sich mit lebhaftem Beifall und zustimmenden Rufen.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments