Jenseits von schwarz und weiß
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Münchner Staatsballett tanzt Christopher Wheeldons „Alice im Wunderland“
Von Michaela Schabel
Hier stimmt einfach alles. Choreografie, Musik, Bühne, Projektionen, Kostüme und Licht fusionieren zu einem zum Meisterwerk vertanzten Handlungsballett. Lewis Carrolls vielschichtigen Kinderroman „Alice im Wunderland“ (1865) verwandelte der neuklassische Erfolgschoreograf Christopher Wheeldon bereits 2011 in ein farbenfrohes Unterhaltungsspektakel für das Royal Ballet London in Kooperation mit dem kanadischen Nationalballett. Getanzt vom Münchner Staatsballett eröffnete Ballettdirektor Igor Zelensky mit „Alice im Wunderland“ die diesjährige Ballett-Festwoche in der Münchner Staatsoper vor begeistertem Publikum.
Man taucht ein wie in ein Filmepos, erzählt von Tönen und tänzerischem Ausdruck. Job Talbots facettenreiche Komposition changiert zwischen monumentaler Wucht, hauchzarten lyrischen Passagen und perkussiver Leitmotivik. Umgekehrt entwickelt Wheeldon, inspiriert von Musik und Text, ein Feuerwerk von Tanzstilen und Überraschungseffekten.
Idyllisch beginnt „Alice im Wunderland“ vor herrschaftlicher Kulisse im flirrenden Sommerambiente. Alices erstes jauchzendes Verliebtsein steckt alle an, wird aber von den Eltern unterbunden. Von Maria Shirinkina mit bezauberndem Mädchencharme, kecker Mimik und rebellischer Gestik getanzt, taucht Alice ab, springt dem Hasen hinterher in ein Loch. Alice schrumpft und wächst. Winzig klein tanzt sie zwischen den in Bühnenhöhe projizierten Beinen, neckisch, verliebt, wie eine kleine Fee mit dem weißen Kaninchen (Javier Amo), dem Märzhasen (Stefano Maggiolo), vor allem aber mit dem Herzbuben (Vladimir Shklyarov).
Die Inszenierung eilt von Höhepunkt zu Höhepunkt. Hinreißend steppt der verrückte Hutmacher (Jonah Cook). In farbträchtigen Tableaus wird indisch, orientalisch und Wiener Walzer getanzt. Als Spielkarten fegt das Ensemble über die Bühne, selbst das Krocketspiel mit Flamingos und Igeln wird überaus liebenswert vertanzt. Jede Geste sitzt. Jeder Schritt, jede Drehung passt zur Musik. Oft in Dreierkonstellationen weicht die Normierung schnell individueller Ausgestaltung, wird Ballett passend zum Thema gegen die Regeln mit modernen Tanzelementen aufgepeppt und das Solo der Herzkönigin mit Séverine Ferrolier zur hinreißenden Wackelparodie. Noch bevor die Herzkönigin alle hinrichten lassen will, stürzt das Kartenhaus der Fantasie in sich zusammen. Alice schwebt nach oben und findet sich, aufgewacht von einem intensiven Traum, im Park der Gegenwart als verliebter Teenie von heute. Als Hommage an Carroll gilt ihm der letzte Moment. Er liest schmunzelnd in seinem Buch.
Das ist fern jeglicher psychologischer und soziologischer Interpretationen großartig inszeniertes ‚Erzählballett’, flott, vergnüglich wie ein Musical und wird sicher auch in München ein beliebtes Repertoirestück.
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