„Giselle“ von Peter Wright

„Giselle“ von Peter Wright

Mit Feinschliff

Das Bayerische Staatsballett zeigt Peter Wrights „Giselle“

Zum Saisonstart unter Igor Zelensky hätte man natürlich lieber eine echte Premiere gesehen – was aus Dispositionsgründen nicht möglich war. Also entwickelte der neue Ballettchef keinen falschen Ehrgeiz, sondern verleiht „Giselle" jetzt neuen Glanz.

München, 26/09/2016

Zum Saisonstart des gerade neu angetretenen Staatsballettchefs Igor Zelensky hätte man natürlich lieber eine echte Premiere gesehen – was aus Dispositionsgründen jedoch nicht möglich war. Also entwickelte Zelensky keinen falschen Ehrgeiz, sondern verleiht „Giselle“ jetzt, nach langen neun Jahren Repertoire-Schlaf, neuen Glanz mit seinen hier noch nicht bekannten Solisten. Zudem mit illustren Gästen wie der Moskauer Bolschoi-Prima Svetlana Zakharova, mit Natalia Osipova vom Londoner Royal Ballet und ihrem (Lebens-)Partner Sergej Polunin. Und immerhin reiste der fast 90jährige Sir Peter Wright an, um seiner „Giselle“-Version (nach Marius Petipas Fassung von 1887), die er 1974 für München choreografierte, selbst den letzten Schliff zu geben.

Wichtig war es Wright, dieses tragische, in romantische Geistergefilde abhebende Liebesmärchen zwischen dem Winzermädchen Giselle und dem Adligen Albrecht näher an zeitgenössisches Empfinden heranzurücken. Und Natalia Osipova, die für den Auftakt besetzt war, stellt sich ganz auf Wrights Konzeption ein – und ist dabei für ständige Ballett-Beobachter d i e Überraschung. 2007 – da gehörte sie noch zum Bolschoi – , 2011 und 2012 lernte man sie hier in „Don Quijote“, in „Der Widerspenstigen Zähmung“ und „Dornröschen“ als perfekte Technikerin, als Brio-Ballerina kennen, die auch im Schlaf „fouettés“ drehen könnte. Inzwischen hat sie sich zur großen lyrisch-dramatischen Künstlerin entwickelt. Hier leuchtet sie über alles Negative der Aufführung hinweg: den vor allem bei den Ensemble-Szenen zum Drill-Taktgeber zerhackten Adolphe Adam (am Pult Aivo Välja), Peter Farmers nach 42 Jahren trist-welke beige-braun-verwaschengrüne Winzer-Ausstattung, die fade Jagdgesellschaft des Herzogs von Kurland (hier fehlte es merklich an Proben).

Wie Osipovas Giselle dem adligen Tunichtgut Albrecht – standesgemäß bereits mit Herzogstochter Bathilde verlobt – zwischen Zögern und Zweifeln letztlich doch vertraut, wie sie an der Täuschung zerbricht und ihn dann selbstlos schützt vor den tödlichen Reigen der Wilis, diesen nächtens auf Rache sinnenden verstorbenen getäuschten Bräuten, zu denen sie nun gehört, das nimmt einem den Atem. Sie hat nicht nur die für diese Rolle erforderlichen federleichten hohen Sprünge, sie wandelt die vorgegebene, auf uns so künstlich wirkende Beziehungs-Pantomime des 19. Jahrhunderts zu einer natürlichen, ganz heutigen Ausdrucksgestik. Im zweiten, dem Wilis-Akt, scheint sie alles Körperliche aufzulösen, tanzt entrückt, aber Pathos-los verhalten das rein Geistig-Seelische.

Sergei Polunin, der vor einigen Jahren als gestresster Jungstar des Royal Ballet zum Moskauer Stanislawsky-Ballett, Zelenskys zweiter Wirkstätte, flüchtete, ist in Allüre und Technik ein eleganter Albrecht. Aber es gelingt ihm nicht so recht, zu dem Charakter seiner Figur durchzudringen, diesem leichtfertigen Adelssproß, der sich zum Bereuenden läutert. Möglich, dass ihn die unvertraute „ebene“ Bühne verunsicherte (in Russland, England und Frankreich fällt die Bühne zum Publikum hin schräg ab). Angekündigt als „ständiger Gast“, wird man ihn weiter verfolgen können. Matej Urban gab stimmig Albrechts Rivalen Hilarion, die neue österreichische Demi-Solistin Prisca Zeisel eine königliche, dabei sehr weibliche Wilis-Herrscherin. Eine glänzende Wahl von Zelensky. Auf sie ist man neugierig in größeren Partien. Und im Corps de ballet hat man auch einige blutjunge Neuengagierte gesehen, die unter Zelenskys erfahrener Führung bald zu Hoffnungsträgern werden könnten. Nach unserer ersten Einschätzung sind das Irina Averina und Dmitry Vyskubenko, die im Bauern-Pas de six besetzt waren; Shuai Li und Anna Nevzorova als die beiden Myrtha-Begleiterinnen Moyna und Zulme und Ziyue Liu, die zweite Chinesin im Ensemble. Insgesamt zeigten sich auch die von Zelenskys Vorgänger Ivan Liška übernommenen Mitglieder in Bestform, sowohl im ersten als auch im 2., dem weißen Wilis-Akt. Geschliffen geprobt die 24 Wilis – was Staatsballettgründerin Konstanze Vernon sicher gefallen hätte. In dieser Hinsicht tritt Zelensky in ihre Fußstapfen. Am technisch-tänzerischen Feinschliff will der neue Chef ja zuerst ansetzen. Womit er bei diesem Einstand bereits erfolgreich war.
 

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