Jenseits von schwarz und weiß
Osiel Gouneo stellt seine Autobiografie vor
Dreiteiliger Abend mit Stücken von Jiří Kylián, William Forsythe und José Limón
So arg mögen die Münchner Ballettgänger die abstrakten Dreiteiler eher nicht. Wenn jedoch Jiří Kyliáns „Zugvögel“ (2009 fürs Bayerische Staatsballett kreiert) dabei ist, strömt's nur so zum Nationaltheater – wie jetzt bei der Wiederaufnahme dieses wunderbar zwischen Tanz, Film und bildender Kunst spielenden Werks. Natürlich war man auch gespannt auf den Neuerwerb: „The Exiles“ von 1950 des US-Modern-Dance-Pioniers José Limón (1908-72). Den Drittel-Premieren-Abend eröffnete William Forsythes 1998 ins Repertoire übernommene „Artifact II“ von 1984.
Ein Wachmacher! Bachs „Chaconne“ aus der Partita Nr. 2 (wie alle Musiken des Abends vom Band) sägt auch dem schon Phon-Abgehärteten ins Ohr, während immer mal wieder, nach Forsythes 80er-Jahre-Schockabsicht, ein schwarzer Vorhang auf den Boden herunterknallt. Aber was dazwischen passiert, hat sich auch nach dreißig Jahren nicht totgesehen: dieses hart konturierte In-Reihe-Schreiten, diese synchronen, geometrisch gezähmten Armbewegungen von großem Ensemble: als Folie für zwei in Forsythes postmodern explodierender Neoklassik brillierende Paare: Katherina Markowskaja mit Lukáš Slavický und Mia Rudic mit Cyril Pierre. Der jungen Rudic, mit ihrer schlanken Technik und frischem Charme schon länger aufgefallen, wäre jetzt auch mal eine größere Partie zuzutrauen.
Limón spürt in „The Exiles“ atmosphärisch stimmig zu Arnold Schönbergs Kammersymphonie Nr. 2. der Trauer des Vertriebenseins nach und den Erinnerungen an ein verlorenes Paradies. Aber neben Limóns Klassikern, der Bach-„Chaconne“ und der Othello-Version „The Moor's Pavane“ (beide im Repertoire wie auch sein musikloses Männerstück „The Unsung“), wirkt diese Adam-und-Eva-Geschichte jedoch ein gutes Stück pionierhaft ältlicher. Damit haben auch die Interpreten Stephanie Hancox und Matej Urban ein wenig Mühe. Historisch interessant – und auf jeden Fall für die Tanzentwicklung fruchtbar – bleibt Limóns deutlich erkennbarer Aufbruch in eine antiklassische neue Formensprache: mit expressionistischen Gesten, bildnerischen Posen und ungewohnten Bodenfiguren.
Ohne Limón und die andere große Modern-Dance-Pionierin Martha Graham hätte Kylián vielleicht nicht sein Idiom gefunden. Und wie er diese moderne Tradition im Tempo unserer Zeit dynamisiert, entsprechend den heute üblichen künstlerischen Grenzgängen und, nicht zuletzt, den neuen physischen Möglichkeiten der Tänzer so ungemein facettenreich gestaltet hat, das zeugt von der erneuernden Kraft des Tanzes. Wer hätte es in den 50er/60er Jahren für möglich gehalten, dass männliche Tänzer wie eine Herde junger Wildpferde über die Bühne stieben, zwischen der Vertikalen und Horizontalen die irrwitzigsten Bewegungen ausführen und dabei auch noch ihre gleichberechtigt sportlichen Ballerinen stemmend um sich herumwirbeln. Die Staatsballettler können das alles atemberaubend gut.
Und filmische Zwischen-Akte wie in „Zugvögel“ in einem Opernhaus waren früher doch undenkbar. Oder Tänzer mit Helium-gefüllten Kissen als Kopfschmuck? Wenn man dieses Stück „historisch“ wahrnimmt, sieht man die ganze Entwicklung der Tanz-Moderne, von Oskar Schlemmer bis Graham und Merce Cunningham, vom Expressionismus bis zu Ingmar-Bergman-Filmen.
Weitere Vorstellungen: 24. 2., 2., 10. 3., 19:30 Uhr.
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