Sprühende Funken
Das Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz verabschiedet sich mit „Sparks“ in die Spielzeitpause
Der Tod und die Fragen angesichts seiner sind immer Thema von Kunst und Literatur gewesen. Auch der Tanz, obgleich in seiner Köperlichkeit eher Ausdruck von Leben, setzt sich mit dem Tod auseinander. Eine großartige Todesfigur schuf Kurt Jooss 1932 in seinem von mittelalterlichen Totentänzen inspirierten Antikriegs-Ballett „Der Grüne Tisch“. In Kenneth Macmillans Mahler-Ballett „Das Lied von der Erde“ von 1965 mischt sich der Tod unter ausgelassene Jugend. Dies nur zwei historische Beispiele.
Jetzt brachte das Münchner Gärtnerplatztheater unter dem Titel „Memento Mori“ – „Bedenke dass du sterblich bist“ – eine zweiteilige Premiere heraus: Tanzchef Karl Alfred Schreiner choreografierte zu Luigi Cherubinis „Requiem“ c-Moll (1816). Sein rumänischer Kollege Edward Clug, seit 2003 Ballettdirektor am slowenischen Nationaltheater Maribor, wählte Giovanni Battista Pergolesis Marienklage unter dem Kreuz „Stabat Mater“ (1729).
Eine Premiere, vom Thema her, nicht eigentlich zum Jubeln. Cherubinis komponierte übrigens sein „Requiem“ zum Jahrestag der Hinrichtung von Ludwig XVI. Ein „Tanzabend“ auch, in dem die Musik von Chor und Orchester des Gärtnerplatztheaters (Leitung: Michael Brandstätter), mit auf der Bühne platziert, fast der stärkere Akteur ist.
Angemessener ist die Münchner Reithalle - zur Zeit Ausweichquartier des Gärtnerplatztheaters - wohl nie genutzt worden. Jordi Roig, der Ausstatter für beide Stücke, hat lediglich die zugemauerten Rundbogenfenster mit dem Text eines mittelalterlichen „Memento-Mori“-Gedichts bespannt – und die weißgraue Backsteinhalle ist zum sakralen Raum geworden: Leer, hoch und weit für den vollen Orchesterklang und das dichte Stimmklingen des exzellenten großen Chors bei Cherubinis „Requiem“.
Zu Beginn eine Bestattung: die Tänzer tragen kleine Lichtquader herein und ein Teil des Chors wirft weiße Nelken in eine der Bühne vorgelagerte Vertiefung. In diese Grabmulde stürzen später immer wieder Tänzer und kriechen daraus wieder hervor.
Sterben und quälendes Siechtum deuten sich an in gegenseitigem Tragen, Stützen und krampfzuckendem Veitstanz. Und in den Tanzsequenzen der neun Frauen und neun Männer sind die Arme denaturiert gebogen, die Finger krankhaft starr gespreizt, bäumen sich die Körper im Sprung auf und schlagen zu Boden. Gelegentlich entgeht der Tanzchef nicht der Gefahr des Plakativen.
Das „Requiem“ ist lang, lässt sich nur schwer durchgehend in Tanz umsetzen. Schreiner behalf sich mit der Einbeziehung eines Teils der Chor-Mitglieder: diese, bis über den Kopf schwarz gewandet, begeben sich in verschieden arrangierten Prozessionen in die Choreographie hinein. Bilden senkrechte Gassen, durch die sich die Tänzer wieder ihren Weg suchen. Und das kontinuierliche Ineinander der schwarzen Kutten-Träger und des – insgesamt heldisch gut – tanzenden Ensembles, meist in grauweißer Leichenbekleidung, rundet sich zu einer geschlossenen, sanft beruhigenden Totenfeier.
Bleibt der Gärtnerplatz-Tanzchef nah am „Requiem“, entfernt sich der Gast Edward Clug vom besungenen Schmerz der Gottesmutter. Was Pergolesis „Stabat Mater“ durch seine stellenweise opernhafte Melodik auch erlaubt. Clug bringt zwar einige theatral sprechende Bilder. Zum Beispiel schiebt sich ein Tänzer mit dem Kopf unter das Kleid einer Tänzerin, die so zur Schwangeren, dann Gebärenden wird. Oder Tänzer stellen die Kreuzabnahme nach.
Überwiegend choreographiert Edward Clug jedoch abstrakt. Und das – zwischen einem rasanten, scharfkantig agierenden Männerquartett und kurzen Pas de deux von zehn Paaren – blockartig, klar strukturiert, geradezu architektonisch. Seine zehn Damen – in locker schwingenden Kleidchen und engen (Marien-?)Kopfhauben - und die zehn Männer konfrontieren sich in Reihen, stehend oder auf Stegen sitzend, die Oberkörper absolut synchron scharf gewinkelt nach vorne und nach hinten biegend. Man glaubt hier ein Zitat aus Kurt Jooss' „Grünem Tisch“ zu erkennen (die Bewegung der Diplomaten am grünem Tisch). Ein Pina Bausch-Zitat ist es sicher, wenn die jetzt hochgestöckelten Damen geschlossen auf die Männer gegenüber zurennen, um sie vorm Umkippen zu retten.
Ein paar Rätsel gibt uns Clug schon auf: Der sexy Catwalk der Damen ist schon sehr weit weg vom religiösen Thema. Und aus dem Schlussbild werden wohl nur Bibelfeste erraten, dass sein Stück mit dem Ostermorgen und Maria Magdalenas Vorfinden des leeren Grabes endet – und damit der Überwindung des Todes. Aber der Rumäne Clug ist hierorts eine Entdeckung. Er hat szenische Ideen. Und sein Stil hat eine besondere Qualität - bewegt sich hier in spannender Schnell-Langsam-Phrasierung in den Melodiebögen der exquisiten Solostimmen von Elaine Ortiz Arandeas (Sopran) und Ann-Katrin Naidu (Alt). Musik und Bewegung – hier tanzen sie zusammen.
Vorstellungen in der Münchner Reithalle, Heßstraße 132, noch bis 14. 7., jeweils 19 Uhr 30. Sonntags 18 Uhr.
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