„Eine Winterreise“ von Wagner Moreira, Tanz: Ensemble mit Richard Resch

Klangliche Schärfe und tänzerischer Sarkasmus

Wagner Moreiras Tanzstück „Eine Winterreise“ erlebt gefeierte Uraufführung

Den Weg in die Schwärze des Todes gestalten Orchester und Tanzende mit Donnerblech, Windmaschinen und zunehmender Auflösung so packend, dass man die Luft anhält.

Regensburg / Theater Regensburg, 18/03/2025

Mehr als alles zuvor Gesehene, Gehörte, Erfühlte erschüttert das letzte Bild im Tanzstück „Eine Winterreise“. Nackte Beine in abgetragenen Schuhen, die über die Kante eines Abgrundes hängen. So, als seien die nach hinten umgekippten, nicht mehr sichtbaren nackten Körper der Menschen niedergestreckt. Standrechtlich erschossen vielleicht, von geflüchteten Ertrunkenen vielleicht oder von einem anderen Ereignis der an (un-)menschlichen Brutalitäten nicht gerade armen Menschheitsgeschichte hingeworfen, die sich in unser Gedächtnis eingegraben haben. 

Es ist eine Metapher. Eine Metapher mit welcher Wagner Moreira die Uraufführung seiner Choreografie von Hans Zenders „Schuberts Winterreise“ zwar offen enden lässt. Zugleich aber gibt er Gedanken und Gefühle der durch die „schauerlichen Lieder“, wie Komponist Franz Schubert den Zyklus Freunden beschrieb, angegriffenen Zuschauenden einem schrecklichen Verdacht preis.

Wanderung nach innen 

Mit dem berühmten Liederzyklus, berückend schön gesungen von Tenor Richard Resch, begibt sich Moreira mit seiner Tanzcompany und dem Orchester unter Leitung von Tom Woods auf eine Reise, eine Wanderung nach innen. Resch ist dabei in die Choreografie eingebunden, was den klaren Gesang seiner ungewohnt hohen Stimmlage noch beeindruckender macht, wenn er über den Köpfen der Tanzenden auf Händen getragen wird. 

Das raffinierte Bühnenbild, bestehend aus vier fahrbaren Elementen, trägt in Verbindung mit einer fröstelnden Lichtregie mehr als vielleicht sonst bei Tanzstücken zur Stimmung bei. Auf der illustrativ beschrifteten Vorderseite zum winterlichen Abhang – einer Rampe oder Brücke zusammengestellt – laufen und sprinten die Tanzenden hoch, rutschen runter und drehen den Sänger rasend im Kreis. Im warmen, heimeligen Rot der Rückseite leuchten Fenster von Häusern. In ihnen drängen sich anfangs Menschen, Nachbarn, Freunde, die der von seiner Geliebten Abgewiesene verlassen muss. Feine Klappengeräusche von Instrumenten und rhythmische Schläge künden die Erstarrung des Rausgeworfenen an, der zum Wanderer wird. 

Für Moreira ist dieser von Verzweiflung, Enttäuschung, von innerer und äußerer Zerrissenheit gemarterte Mann das zentrale Element für seine poetische, von großer Dynamik geprägte Choreografie. Während in Schuberts ursprünglicher „Winterreise“ das Intime des Vortrags im Mittelpunkt steht, fügen sich hier Tanz, Gesang, Geräusche und Musik zu einem metaphorischen Gesamteindruck zusammen, bei dem sich gar der Magen verkrampfen kann. Der tiefe Schmerz und das Leiden des Wanderers, der ins Ungewisse, in die Kälte und Einsamkeit aufbrechen muss, übersetzen sich in der Synergie der Künste gleich doppelt und dreifach. 

Böser Sarkasmus

Sind die Tanzenden anfänglich noch eher statisch, bilden illustrativ ein bürgerlich-sattes Setting, bis sie durch Drehung der Bühnenelemente die Abkehr von der dörflichen Sicherheit in die raue Natur deutlich machen. Den bösen Sarkasmus im zweiten Lied „Die Wetterfahne“, lassen sie mit Fangenspielen und gegenseitigem Abschütteln freien Lauf. Bevor der Wanderer dann in „Erstarrung“ fällt, von den Tanzenden eisig schön bebildert, leuchtet der heiße Schmerz der Trennung noch einmal kurz zwischen den Elementen auf, bis jede Lücke geschlossen ist. 

Selten bilden die Tanzenden die innere Gefasstheit des Sängers in synchron getanzten Figuren oder Duetten ab, überwiegend sind es Bewegungen und Figuren, die sie individuell voneinander unterscheiden, die dabei aber ineinander greifen. Schwer beeindruckend sind die physischen Anstrengungen, die sie mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit auf der Halfpipe-artigen Rampe erbringen. Die musikalische Umsetzung von Zenders „komponierter Interpretation“ ist in der klanglichen Schärfe, aber auch in der betrübten Nähe der Lieder bemerkenswert. Lediglich an einigen wenigen Stellen hätte etwas mehr Zurückhaltung und Ausdifferenzierung gutgetan. 

Den Weg in die Schwärze des Todes, den die Tanzenden mit aufgelösten Haaren im Lied „Die Krähe“ unterstreichen, bevor auch die „Letzte Hoffnung“ zitternd zu Boden fällt, gestalten Orchester und Tanzende mit Donnerblech, Windmaschinen und zunehmender Auflösung so packend, dass man unwillkürlich die Luft anhält. Der langanhaltende Applaus bei Standing Ovations war verdient. 

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