„ÉPIQUE ! (FOR YIKAKOU)“ von Nadia Beugré, Tanz: Nadia Beugré und Charlotte Dali

„ÉPIQUE ! (FOR YIKAKOU)“ von Nadia Beugré, Tanz: Nadia Beugré und Charlotte Dali

Wer mit dem Wal tanzt

Eröffnung des Spielart-Festivals in München

Tianzhuo Chens und Siko Setyantos „Ocean Cage“, Cedric Mizeros „Umunyana“ und Nadja Beugrés „Épique/ (For Yikakou)“ erforschen die Verbindung zu den Ahnen und den Respekt vor der Kreatur.

München, 22/10/2025

Die erste Erkenntnis bei Spielart 2025 ist eigentlich ein Déjà-vu. Denn es ist inzwischen eher die Regel, dass die Spielarten der Künste, denen die Münchner Biennale ihren Namen verdankt, alle Genre- und Spartengrenzen sprengen. Bildende Kunst, Tanz, Performance, Schauspiel oder Musiktheater: Viele der eingeladenen Produktionen lappen in mehrere oder sogar alle dieser Bereiche hinein. Das ist mit der Öffnung des Festivals für den Globalen Süden immer stärker geworden und fällt im dreißigsten Jahr seines Bestehens nur deshalb noch mehr auf, weil die Website jetzt Kategorien-Stempel verteilt. „Film“, „Performance“ und „Installation“ steht etwa auf „Umunyana“ (auf Deutsch: „Kalb“), einer Uraufführung von Cedric Mizero aus Ruanda. Stimmt alles, aber die fünf Performer*innen stampfen auch auf sehr flinken Füßen durch drei Hallen im Einstein-Kulturzentrum und fabrizieren mit klatschenden Händen und knallenden Sohlen, tönenden Kuhhörnern und fast unaufhörlichem Gesang ein hochkomplexes polyphon-polyrhythmisches Gespinst. Tanz und Musiktheater ist das also irgendwie auch, wenn auch tiefer im Rituellen als im Performativen verwurzelt. Weshalb das mit der Entschlüsselung des Abends so eine Sache ist. 

Perspektiv-Verschiebung

Aber das ist auch bei anderen Arbeiten aus Afrika und Asien so. Viele der verwendeten Zeichen entziehen sich dem Verständnis des europäischen Publikums. Weshalb sich eine Verschiebung der Perspektive empfiehlt, die mehr auf sperrangelweit offene Sinne als auf Erkenntnis setzt. Und ein bisschen ist das auch die unterschwellige Botschaft der aktuellen Festivalausgabe: Mit Empathie gibt es sie vielleicht doch, die Zukunft – oder wenigstens „Some Kind of Tomorrow“. 

Und die Problemlagen ähneln sich nicht nur global, sondern auch im Lokalen. In „Umunyana“ geht es um das Töten von als heilig erachteten Kühen, im großen Eröffnungsspektakel „Ocean Cage“ um den Walfang in Indonesien. Beides Praktiken, die für Menschen, die ihr Fleisch im Supermarkt kaufen und für Artenschutz demonstrieren, auf den ersten Blick grausam wirken. Doch dann wird man nach und nach hineingezogen in tief in der lokalen Geschichte verwurzelte Handlungsweisen, für die Armut und Hunger treibende Momente sind und in denen Jäger und Opfer eine enge Verbindung eingehen. Dass es in „Unuyama“ auch um den Völkermord an den Tutsi gehen soll, erschließt sich nicht. „Ocean Cage“, ein ebenfalls zwischen Raum-Installation und sehr aufwändigem Film aufgespanntes Tanzstück des chinesischen Regisseurs und Bildenden Künstlers Tianzhuo Chen, ist viel stärker auf das internationale Publikum aus- und eingerichtet. Der Tänzer Siko Setyanto scheint mit seinem Motorroller direkt aus einer filmischen Walfangszenerie im indonesischen Küstenort Lamalera in die übervolle Muffathalle hineinzufahren. Den Kopf mit einem Fischernetz und großen Plüsch-Ohren verhüllt, unter dem sich später ein zweites Paar anders künstlicher großer Ohren offenbart und ein dämonisch geschminktes Gesicht mit einer Art drittem Auge auf der Nase. Halb Geistererscheinung, halb schamanistischer Heiler tanzt er einzelne Zuschauer*innen an. Mit vibrierenden Handflächen, abgespreizten Fingern und leise Laute ausstoßend. Er ist eine Art Bruder der Meeressäuger, zwischen deren Knochen die Kinder von Lamalera am Strand spielen und die sie früh zu jagen und zu erlegen lernen. 

Im Film ist die Rede von „respect and gratitude“ und von den Seelen derer, die das Meer verschluckt und nicht zurückgegeben hat. Eindrucksvolle Dokumentarfilmszenen werden zunehmend bunter eingefärbt und mit KI-generierten Bildern verschnitten. Anfangs nur perlende Live-Percussions jagen die emotionale Temperatur nach oben. Mit seinem ironiefreien Pathos kratzt das hart an der Grenze zum Eso-Kitsch, aber plötzlich wird ein grauer Lappen von der Decke herabgelassen und ein lebensgroßer Pottwal tanzt im Wind der Turbolüfter. Und das ist einerseits irre beeindruckend – wie klein wir doch sind! – hat aber auch etwas von Hollywood Studio Tour und diesen immersiven Kunstausstellungen, die neuerdings Massen anziehen.

All in one

Das ist bei Nadia Beugré ganz anders. Auch „Épique/ (For Yikakou)“ ist wieder all in one: Tanz, Performance, eindrucksvoller A capella-Gesang, aber etwas weniger Installation, denn es liegen anfangs nur ein Gespinst aus Zweigen und etwas Sand auf der Bühne 2 des Münchner Volkstheaters, mit dem die Choreografin und ihre Spielpartnerin Charlotte Dali Spuren auf dem dunklen Boden ziehen. Die fragmentarische Geschichte dahinter: Bei ihrem ersten Besuch seit langem in ihrem ivorischen Geburtsort Yikakou hatte Beugré nur ein Päckchen Papiertücher dabei. Die verteilt sie nun auf dem dunklen Bühnenboden, pflastert mit ihnen das imaginäre Grab ihres Vaters. Und dann machen die beiden mit der geballten Power und positiven Ausstrahlung von zwei sehr realen Superwomen verrückte und sinnliche Dinge, die man als Wiedereintauchen in die Spiele der Kindheit lesen kann oder als schöne uneitle Lust am Leben. Sie lassen Talkumpuder lautstark in den Händen schmatzen, verteilen es im Gesicht und auf den Schenkeln, hauen sich in einer knalligen Body-Percussions-Nummer die eigenen Backen knallrot und spicken Kleidung, Braids und selbst den Mund mit weißen Stangen wie um zu sagen: „Uns doch wurscht, wenn ihr jetzt ein Klischee von der ‚wilden‘ Frau seht.“ Wunderbar! Vor diesen beiden unerschrockenen Vergangenheitserkunderinnen wird sich auch die Zukunft nicht verschließen können.

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